© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/17 / 22. September 2017

Ländersache: Niedersachsen
Genossen bleiben stabil
Paul Leonhard

Ein Untersuchungsausschuß, zwei Meinungen, die gegensätzlicher nicht sein könnten: Während Nieder-sachsens Sozialministerin Cornelia Rundt (SPD) nach ihrer Anhörung vor dem Vergabeausschuß der festen Überzeugung ist, den Landtagsabgeordneten ihre Unschuld bewiesen zu haben, meint der FDP-Abgeordnete Christian Grascha, die Ministerin habe den Verdacht der Vetternwirtschaft nicht ausräumen können; es würden Akten fehlen, und es gebe gelbe Zettel, an die sich Rundt angeblich nicht erinnern könne. Grascha fordert die Entlassung der Ministerin.

Nach Mauscheleien in Staatskanzlei und Wirtschaftsministerium, die Staatssekretärin Daniela Behrens (SPD), Ministeriumssprecher Stefan Wittke und den Leiter der Berliner Landesvertretung, Michael Rüter, das Amt kosteten (JF 26/17), wird jetzt der Sozialministerin vorgeworfen, bei der Vergabe eines Masterplans zur sozialen Gesundheitswirtschaft ein SPD-nahes Institut bevorzugt zu haben. Für die oppositionelle CDU ein weiterer Fall von „Genossenfilz“. 

Die rot-grüne Landesregierung unter Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) steht seit Monaten unter Dauerbeschuß der Opposition. Merkwürdig daran: Es schadet den Sozialdemokraten im parallel laufenden Wahlkampf nicht. Nach Umfragen der Meinungsforschungsinstitute wäre die CDU zwar wie schon 2013 mit 37 Prozent stärkste Kraft, erhielte aber drei Prozent weniger als im August, während die Sozialdemokraten stabil auf 32 Prozent kommen. Grüne (10 Prozent) und AfD (7) legen jeweils um einen Punkt, die Linke (5) um zwei zu. Die Liberalen (6) verlieren einen Prozentpunkt. Ministerpräsident Weil würden aktuell sogar 47 Prozent der Wähler ihre Stimme geben, zwei Prozent mehr als vor dem Bekanntwerden der neuen Vorwürfe. CDU-Herausforderer Bernd Althusmann verliert zehn Prozentpunkte und kommt auf 24 Prozent. Selbst von der Hälfte der Anhänger von CDU und FDP werde, so die Meinungsforscher, die Politik der rot-grünen Regierung positiv beurteilt.

Aktuell hätten aber weder Rot-Grün noch Schwarz-Gelb eine Mehrheit. Als Option stände lediglich eine Große Koalition, da CDU und FDP ein Bündnis mit den Grünen ausschließen. Diese hatten mit dem Übertritt einer ihrer Abgeordneten zur CDU für den Verlust der rot-grünen Parlamentsmehrheit und damit für die Auflösung des Landtags und für die am 15. Oktober angesetzten Neuwahlen gesorgt (JF 33/17).

Nach Ansicht der Wahlforscher punktet die SPD derzeit bei den Niedersachsen mit dem Thema Bildungspolitik, das die aktuellen Debatten im Landtag bestimmt. Das könnte auch den Abwärtstrend in der Beliebtheit von CDU-Spitzenkandidat Althusmann erklären, der einst Kultusminister des Landes war. Trotz chaotischen Schulbeginns und Lehrermangels hat es Weil vermocht, an seiner umstrittenen Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) festzuhalten und die Schuld an der aktuellen Bildungsmisere überzeugend ihrem Vorgänger Althusmann in die Schuhe zu schieben. 

Auch die Forderung nach einer Änderung des VW-Gesetzes kam bei den Wählern nicht gut an. 65 Prozent wollen, daß das Land weiterhin Miteigentümer am Konzern ist. Allerdings wird gewünscht, daß kein Spitzenpolitiker mehr im VW-Aufsichtsrat sitzt.