© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/17 / 22. September 2017

Imaginäre Freunde
Ob Turnierreiten mit Spielzeugpferden oder Rennveranstaltungen mit Plastikenten, immer mehr junge Menschen pflegen Hobbys mit nicht lebendigen Gefährten
Verena Rosenkranz

Die Mähne gestriegelt, das Zaumzeug sitzt, und die Richter sind bereit. Am Turnierplatz ist es allerdings still, kein Pferdegewieher, keine Tritte und keine Stürze. Von elegant bis witzig gekleidete junge Mädchen warten aufgeregt vor dem Hindernisparcours bis sie aufgerufen werden, um über Gräben zu springen, möglichst schnell über Stangen zu galoppieren oder über den Hallenboden zu trippeln. 

Die verschiedenen Teilnehmergruppen von Vorschulkindern bis hin zu Heranwachsenden um die zwanzig haben wochenlang mit ihren Gefährten in den Disziplinen Dressur und Springen für ihren Auftritt geübt – mit ihren Steckenpferden. In Finnland ist „Hobby Horsing“ der letzte Schrei. Tausende Mädchen – dazwischen auch ein paar sportlich ambitionierte Jungen – graben die Spielzeuggäule aus dem Kleinkindalter nochmal aus – oder besorgen sich neue. Die Auswahl ist groß. Bei der hippen Sportart müssen die Kinder weder auf eventuelle Teamkollegen Rücksicht nehmen, noch sich um das Wohl ihres Tieres kümmern – weil es beides nicht gibt. 

Gepflegt werden die Stofftiere auf Holzstecken allerdings dennoch: Ein glitzernes Zaumzeug schmückt ihre Köpfe aus Baumwolle, und geflochtene Zöpfe zieren ihre Kunsthaarmähnen. Liebevoll wird ihnen vor dem Startsignal nochmal über den Kopf gestreichelt. „Viel Glück“ scheinen die jungen Teilnehmerinnen der Hobby-Horsings-Turniere ihnen sagen zu wollen, bevor sie selber über erstaunlich hohe Hindernisse springen, die aussehen wie bei einem realen Springturnier.

Ist dieser Trend nun einfach eine von vielen neuen skurrilen Ideen oder vielleicht der tiefsitzende Wunsch nach ruhigen ländlichem Leben inmitten der zunehmenden Urbanisierung? Ist dieser letzte Schrei aus Finnland das Resultat einer sozial nicht mehr kompatiblen Generation oder einfach der Auswuchs einer kindlichen Phantasie, die zum Massenphänomen wurde? 

Veranstaltungen mit bis zu 80.000 Zuschauern

So genau dürften sich das wohl auch die Veranstalter von „Entenrennen“ nicht überlegen und einfach dem Spaß an der Sache nachgehen, wenn sie ihre gelben Quietschtiere aus Plastik zum großen Badetag ausführen. Bei den Veranstaltungen, die vor allem in Deutschland und Österreich relativ beliebt sind, werden die Enten auf der Unterseite mit Zahlen versehen und auf Flüssen oder Seen bis zu einer zuvor festgelegten Ziellinie schwimmen gelassen. 

Der Gewinner, der natürlich zuvor für seinen nicht realen tierischen Sportsfreund ein Startgeld hinterlegt hat, erhält einen Preis oder kann die Summe auch an Wohltätigkeitsorganisationen spenden. Wenn man sich die Zuschauerzahlen von einigen hundert Personen in dörflichen Gegenden bis hin zu 80.000 in größeren Städten vor Augen hält, läßt sich mit den imaginären Freunden sogar Geld verdienen. Dafür werden sie auch bestens behandelt: Eingefleischte Rennteilnehmer beziehungsweise die Halter der Plastikenten schieben ihre gelben Freunde nicht einfach an den Badewannenrand ab. Sie werden täglich abgestaubt, poliert, geschliffen –damit der Widerstand geringer ist –, und teilweise sogar schön verziert für den großen Tag. Auch hier meckert höchstens der reale Lebensgefährte über die übertriebene Zuneigung, der eigentliche Sportsfreund ist angenehm still. 

Auf diese Ruhe ihres imaginären Partners schwören auch etliche Pantomimekünstler, die nicht nur in den Straßen von Paris nach Aufmerksamkeit von realen Personen haschen, sondern auch zu internationalen Wettbewerben antreten. Weniger allerdings gegeneinander als vielmehr gegen ihre nicht sichtbaren Partner. Wer die ausgefallensten und kreativsten Bewegungs- und Handlungsabläufe gegen seinen unsichtbaren Schatten vorführt, wird gemeinsam mit eben diesem zum Sieger auserkoren. Ob sich die stummen Begleiter der jeweiligen Künstler untereinander um den Sieg streiten, ist noch nicht restlos geklärt. Fest steht hingegen ein anderes verrücktes Phänomen auf dem Sektor „imaginäre Freunde“: Die helfende Damenstimme aus dem Apple iPhone namens Siri hat bereits etliche Heiratsanträge erhalten. Eigentlich sollte die Sprachfunktion auf dem Telefon nur Unterstützung bei der Suche nach dem nahegelegensten Restaurant oder bei Google-Abfragen bieten. Seit ihrer Markteinführung 2015 verzaubert die computergenerierte Stimmte allerdings weltweit Männerherzen. So irreal wie sie sind nicht einmal Steckenpferde und Quietschenten.