© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/17 / 29. September 2017

Gute Miene zu schlechtem Spiel
Nationalratswahl Österreich (Teil 1): Kanzler Christian Kern hat seinen Neueinsteiger-Bonus längst verloren
Verena Rosenkranz

Vom Eisenbahner zum Kanzler von Österreich. Die Sozialdemokratische Partei zeigte im Vorjahr, daß der Arbeitertraum in ihren Reihen noch wahr werden kann. Christian Kern, ehemaliger Vorstandsvorsitzende der Österreichischen Bundesbahnen-Holding AG wurde über Nacht von seinem Posten, auf dem er sinngemäß seiner Parteifarbe eher rote als schwarze Zahlen schrieb, abberufen und zum Bundeskanzler bestellt. Nach langer Zeit des Stillstands unter Ex-Kanzler Werner Faymann verzeichneten die Roten mit Kern erstmals wieder einen Aufschwung in Umfragen. Der charismatisch wirkende, junge Politiker sollte das verstaubte Image der Altpartei wieder aufbessern.

Die Konkurrenz schoß allerdings genauso schnell, wie der neue Kanzler aus dem Hut gezaubert wurde, mit Kritik um sich. ÖVP-Fraktionschef Reinhold Lopatka etwa verlangte von Kern gleich zu Beginn seiner Amtszeit eine klare inhaltliche Positionierung, was die Asylpolitik anging, und sollte bis zuletzt vergeblich darauf warten. Keine zwölf Stunden nach Kerns Amtsantritt forderte FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache Neuwahlen: „Die Linken haben endgültig in der SPÖ das Kommando übernommen! Der ehemalige unverantwortliche ‘Willkommenskultur’-ÖBB-Transporteur hat den Kursveränderer Faymann abgelöst.“ Lange sollte der Beschluß für vorzeitige Neuwahlen nicht auf sich warten lassen. Was Faymann als Kanzler in Zuwanderungs- und Sozialfragen nicht schaffte, konnte auch Kern nicht wieder wettmachen. Nach zahlreichen Zerwürfnissen mit der Volkspartei (ÖVP) als Regierungspartner und dem Rücktritt von Vizekanzler Reinhold Mitterlehner im Frühjar 2017 geriet die SPÖ wieder ins Straucheln.

Nach nur wenigen Monaten in der rot-schwarzen Regierung stolperte Kern erstmals kurz vor Weihnachten über seinen israelischen Berater Tal Silberstein. Dieser wurde schon damals per Haftbefehl wegen einer Korruptionsaffäre in Rumänien gesucht. Er versuchte die Angelegenheit totzuschweigen und ließ seinen Vertrauten dennoch regelmäßig ins Bundeskanzleramt einfliegen. Nach zahlreichen Berichten alternativer Medien griff auch der streitlustige Koalitionspartner ÖVP das Thema auf und stellte eine parlamentarische Anfrage zur Causa. Die bürokratischen Mühlen in Österreich mahlen jedoch langsam, wodurch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit nachließ.

Obwohl Kern mit aller Kraft versuchte, sich noch länger an seinem erst kürzlich gewonnenen Kanzlerposten und dem Ruf als Heilsbringer festzuhalten, kam er im Mai 2017 nicht darum herum, Neuwahlen für den Herbst zu verkünden. Nur wenige Wochen ließ der nächste Fauxpas auf sich warten.

 Die nun wahlwerbende SPÖ titelte in kommunistischer Manier für die anstehenden Nationalratswahlen im Oktober 2017: „Holen Sie sich, was Ihnen zusteht!“ und ließ die Plakate mit dem Konterfei von Kern vielfach in ganz Österreich verbreiten. Kern reagierte unsicher, die Kampagnen waren offenbar nicht ganz mit ihm abgestimmt. Schnell wurden sie gegen die viel eher ministrabel klingenden Sprüche „Soziale Sicherheit“ und „Wirtschaftlicher Erfolg“ ausgetauscht. Etwa zeitgleich wurde Kanzlerberater Silberstein wegen Geldwäsche in seinem Heimatland festgenommen.

Davor ließ er jedoch noch eine großangelegte Schmutzkampagne gegen die neue ÖVP-Hoffnung Sebastian Kurz starten. In Videobotschaften sollte der ÖVP-Chef kurz vor der Wahl diskreditiert und als Reformverweigerer dargestellt werden.

So viel Unglück auf einmal hatten nur wenige Vorgänger. Doch Kern kämpft um jede Stimme für den 15. Oktober. Aktuelle Umfragen sehen die einst stimmenstärkste Partei bei 26 Prozent, weit abgeschlagen hinter dem Koalitionspartner ÖVP, der mit Kurz einen Höhenflug und aktuell 35 Prozent hinlegt.