© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/17 / 29. September 2017

Allianz gegen China
Stahlindustrie: ThyssenKrupp fusioniert mit dem indischen Tata-Konzern / Stellenabbau in Deutschland
Christian Schreiber

ThyssenKrupp hat sich vorige Woche mit dem indischen Tata-Konzern auf eine Fusion der europäischen Stahlsparte geeinigt. Es ist einer der größten Einschnitte in der Unternehmensgeschichte. Der Traditionskonzern aus dem Ruhrgebiet gliedert seine Keimzelle aus – das Stahlgeschäft. Es ist letztlich die logische Konsequenz, seit Heinrich Hiesinger an der Firmenspitze steht. Seit seiner Amtsübernahme 2011 hat der 57jährige Elektroingenieur und frühere Siemens-Manager die Bedeutung des Stahls für das Unternehmen eingedämmt und fördert statt dessen die Technologiegeschäfte rund um Aufzüge, Autokomponenten und Anlagenbau.

Es geht um 29 Prozent der deutschen Stahlerzeugung

Die indisch-deutsche ThyssenKrupp Tata Steel soll seinen Sitz steuersparend in Amsterdam haben. 4.000 Stellen sollen wegfallen, je zur Hälfte in Deutschland und bei den Tata-Ablegern in der EU. „Der gute alte August Thyssen würde sich im Grab umdrehen, wenn er davon hört. Denn Thyssen ist mit Stahl geboren“, zitierte die Rheinische Post einen Arbeiter in Duisburg. Kohle und Stahl waren die Motoren der Industrialisierung und des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg. „Der Prozeß der europäischen Einigung begann 1951 auch deshalb, weil Frankreich verhindern wollte, daß die Krupps, die Thyssens und die Hoeschs jemals wieder die Kanonen bauten, mit denen dann deutsche Generäle Europa zerstören könnten“, erinnert sich die Süddeutsche Zeitung.

Etwa 7.000 direkt und indirekt Betroffene haben vorigen Freitag in Bochum gegen den „Dieb-Stahl“ (so eines der Demonstrationsplakate) der Konzernleitung protestiert. Doch trotz lauter Trillerpfeifen schafften sie es angesichts der Bundestagswahl nur in die Regionalmedien. Auch politische Rückendeckung ist nicht mehr zu erwarten: 1980 gab es noch 288.000 Beschäftigte in der westdeutschen Stahlerzeugung, 2015 waren es deutschlandweit lediglich 86.000. Industriepolitisch ist der Ruhrgebietskonzern immer noch relevant: 29 Prozent der deutschen Stahlerzeugung von 42,7 Millionen Tonnen jährlich kommen derzeit noch von ThyssenKrupp.

Seit anderthalb Jahren wird mit Tata verhandelt. Zusammen würden beide den zweitgrößten europäischen Stahlkonzern nach ArcelorMittal schmieden. Daß der steuertechnisch in Luxemburg und faktisch von London aus gesteuerte Stahlmarktführer mit Lakshmi Mittal ebenfalls von einem Inder geleitet wird, ist nicht zufällig. Stahl ist ein Weltprodukt, von dem es derzeit zu viel gibt. Die staatlich subventionierten Niedrigpreise der chinesischen Konkurrenz haben die EU-Stahlbranche – trotz Zollschranken – hart getroffen (JF 10/16). In Deutschland lasten zusätzlich 170 Millionen Euro durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) auf der Branche, rechnet die Wirtschaftsvereinigung Stahl vor.

ThyssenKrupp-Chef Hiesinger argumentiert daher, die Fusion biete nicht nur den im Konzern verbleibenden Sparten die beste Perspektive, sondern auch den Stahlkochern. Die Fusion verhindere noch schlimmere Einschnitte, ohne sie hätte sich die Stahlsparte in einer Abwärtsspirale „zu Tode restrukturiert“. Eine „Deutsche Stahl AG“, ein Börsengang der ThyssenKrupp-Stahlsparte, eine Abspaltung der Industriesparten oder der Verkauf an einen Finanzinvestor seien keine realistischen Alternativen.

Trotz der unter Adenauer und unter Brandt erweiterten Mitbestimmung in der Montanindutrie kann der Thyssen­Krupp-Betriebsrat die Stahl-Fusion nicht verhindern. Bei einem Patt im aus Arbeitnehmer- und Kapitalvertretern paritätisch besetzten Aufsichtsrat zählt die Stimme des Vorsitzenden doppelt. Man könne lediglich „das Schlimmste“ verhindern, getand der Gesamtbetriebsratsvorsitzende der ThyssenKrupp Steel Europe AG, Günter Back (CDU), ein.

Soziallasten für NRW, Steuern für die Niederlande

Tata hat in Großbritannien Standortzusagen bis 2021 gegeben. Die IG Metall fordert auch in Deutschland Garantien für Arbeitsplätze, Anlagen und Standorte „bis weit ins nächste Jahrzehnt hinein“. Detlef Wetzel, früherer IG Metall-Chef und Aufsichtsratsvize von ThyssenKrupp Steel, lehnt die Fusion kategorisch ab. „Wir reden hier immerhin über fast jeden zehnten Arbeitsplatz. Außerdem ist für uns nicht ersichtlich, wie viele Schulden ThyssenKrupp und Tata in das neue Unternehmen auslagern und ob es damit überhaupt marktfähig sein wird“, sagte das SPD-Mitglied dem Hamburger Abendblatt. Deutliche Kritik übte Wetzel auch an der Entscheidung gegen Duisburg als Unternehmenssitz. Die Landesregierung aus CDU und FDP übe „Verrat an Nordrhein-Westfalen“, weil „die Soziallasten durch den Personalabbau in NRW bleiben, während die Steuern in die Niederlande fließen“.

Der wahlkämpfende Duisburger Oberbürgermeister Sören Link versprach den Stahlkochern einen gemeinsamen Kampf „Seit’ an Seit’“ um ihre Arbeitsplätze. Gepaart mit deutlichen Worten an die Adresse bestimmter Zuwanderergruppen („Asozial bleibt asozial – egal, aus welchem Land jemand stammt“), sicherte das dem 41jährigen SPD-Politiker am Sonntag mit einem Sensationsergebnis von 56,9 Prozent die Wiederwahl. Ob sich Link in seiner nun bis 2025 gehenden Amtszeit daran erinnert, ist allerdings nicht sicher.

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet verlangte eine „absolute Transparenz“ des Stahlunternehmens gegenüber seinen Beschäftigten. „Die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens und damit auch der Erhalt der Arbeitsplätze müssen im Zentrum stehen“, erklärte der CDU-Politiker. Doch der transnationale Weltkonzern ThyssenKrupp hat durch seine Ursprungsfirmen Krupp, Hoesch und Thyssen zwei Jahrhunderte deutscher Industriegeschichte mitgeschrieben, aber inzwischen laut Eigenwerbung „155.000 Mitarbeiter, Tausende unterschiedliche Lebensmodelle und Kulturen“. Deutschland ist dabei nur noch ein Standbein.

Und während die Arbeitnehmer um ihre Jobs bangen, reagierten die Börsen ausgesprochen positiv auf die Fusionspläne. Für die Aktionäre wäre das Joint-venture mit Tata ein sinnvoller Schritt. Nach Berechnungen des Investorenportals „Der Aktionär“ winken zwei bis drei Milliarden Euro Buchgewinn, zudem könnten vier Milliarden Euro an Pensionen und Altlasten ausgegliedert werden – was Wetzels Befürchtungen bestätigt.

 www.thyssenkrupp.com/de/

Wirtschaftsvereinigung Stahl:  www.stahl-online.de





Industriekonglomerat Tata Group

Die Tata-Gruppe ist ein 1870 von Jamshedji Tata gegründeter indischer Mischkonzern mit Hauptsitz in Bombay (Mumbai). Ursprünglich eine Spinnerei, wurde bald eine Baumwollmühle Kern der Firma. Bereits 1903 eröffnete Tata sein erstes Hotel. Hundert Jahre später ist Tata ein weitverzweigter Weltkonzern mit 100 Milliarden Dollar Umsatz und bald 700.000 Beschäftigten in hundert Ländern. Neben Traditionellem wie Keramik, Salz, Tee oder Mineralwasser kommen auch zahlreiche Chemikalien aus dem in Europa bislang kaum bekannten indischen Mischkonzern. Im Bereich Software ist Tata Elxsi erfolgreich. Tata Steel, ursprünglich 1907 als Tata Iron and Steel Factory gegründet, ist nur ein Baustein der Sparte Metall/Rohstoffe. Seit 2008 gehören auch die britischen Traditionsmarken Land Rover und Jaguar dazu. Tata Power ist einer der größten indischen Stromkonzerne. Daß es in den Bereichen Energie, Stahl oder Telekommunikation derzeit bei Tata nicht so gut läuft, wird die Hochzeit mit ThyssenKrupp nicht verhindern.