© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/17 / 29. September 2017

Vom Markt längst überholt
Eigentumsfragen: Was sind Waren noch wert, die in Windeseile im Netz verteilt werden können? Diskussion um Digitalministerium und Grundeinkommen
Peter Schönfeld

Weit über 50 Milliarden Euro verkehrsbezogene Steuern nimmt der deutsche Fiskus jedes Jahr ein – von der Energiesteuer auf Benzin und Diesel über die Kfz-Steuer, die Luftverkehrabgabe bis hin zur Versicherungssteuer für Haftpflicht und Kasko. Nur 17 Milliarden Euro davon fließen in die Verkehrsinfrastruktur. Dennoch war es das wichtigste Anliegen von Alexander Dobrindt, zusätzlich eine Pkw-Maut durchzudrücken. Da blieb dem CSU-Minister offenbar kaum Zeit, sich um die digitale Infrastruktur zu kümmern.

Wettbewerbs- und Urheberrecht unzeitgemäß

Der FDP fällt es daher leicht, in ihrem 96seitigen Wahlprogramm ein „hochleistungsfähiges Internet durch flächendeckende Gigabit-Infrastrukturen sowohl im Festnetz als auch beim Mobilfunk“ oder „mehr freies WLAN in öffentlichen Räumen, Gebäuden und dem öffentlichen Nahverkehr“ zu versprechen. Wie aber ein eigenes „Digitalministerium“ zum Versprechen einer „schlankeren und effizienteren Regierung“ paß, verrät die Lindner-Partei nicht. Immerhin hat die FDP erkannt, daß das Wettbewerbs- und Urheberrecht dringend reformbedürftig sind.

Copy. Paste. Share. Like. Was sind Waren noch wert, die in Windeseile im Netz verteilt werden können? Bis zur Jahrtausendwende waren CDs, DVDs, Schallplatten, Bücher und Zeitschriften unverzichtbar, um zu Hause Unterhaltung oder Bildung zu genießen. Inzwischen werden solche Sammlungen aus Papier, Vinyl und anderen Kunststoffen zunehmend obsolet, da – hochleistungsfähiges Internet vorausgesetzt – jeder nun mit ein paar Klicks zum Ziel gelangen kann: Wir können nahezu jeden Film sehen, der jemals gedreht wurde, jedes Musikstück hören, das jemals aufgenommen wurde, und jeden Satz lesen, den je ein Wissenschaftler oder Schriftsteller zu Papier gebracht hat – und das an vielen Orten der Welt.

Eigentum ist wie Wettbewerb unverzichtbar für eine Marktwirtschaft. Hipster haben eine Schallplattensammlung, bei Germanistikprofessoren steht viel Prosa im Bücherregal. Und dank des Zugangs zu einer unendlich scheinenden Welt immaterieller, digitaler Güter erhalten die Dinge, die wir physisch besitzen, einen höheren Wert. Sie werden uns bewußter, aussagekräftiger, sinnvoller. Möglich macht dies die digitale Technologie. Nicht mehr länger müssen wir horten, um Wert schöpfen zu können.

Doch in ökonomischer Hinsicht wirft eine solche Welt, in der Zugang das Eigentum ablöst, einige Fragen auf: Wie unterscheiden sich die digitalen von den physischen Waren? Inwiefern kann der Eigentumsbegriff bei digitalen Waren noch greifen? Was ist der wahre Wert einer digitalen Ware? Gelten die tradierten Produzenten-Nutzer-Beziehungen auch in der Welt aus Bits und Bytes? Und greift der Eigentumsbegriff überhaupt noch bei digitalen Waren?

Digitale Waren sind heute meist geistige Waren: Ideen, Gedanken, Theorien, Texte, Musikstücke, Filme. In immer kürzeren Abständen verschieben sich Rollen und Beziehungen zwischen den Marktakteuren. Die digitalen Möglichkeiten zur Kommunikation machen eine zentrale Rechteverwaltung, die den Zugang zu solchen geistigen Waren reglementiert, überflüssig. Jeder in Bits und Bytes gefaßte Gedanke kann in Windesweile vervielfältigt und geteilt werden. Dobrindts Parteikollege Karl-Theodor zu Guttenberg war insofern als Plagiator seiner Zeit ein Stück weit voraus.

Das Digital Rights Management (DRM) ist dagegen ein verzweifelter Versuch, die Kontrolle über den Fluß digitaler Waren zu konservieren. Aber womöglich ein letzter. Denn auf der anderen Seite bilden sich immer wieder neue Projekte mit dem Ziel, den Warenverkehr im Netz auszubauen. Flatrates für Musik, Filme und Bücher ermöglichen den Zugang zu digitalen Waren, ohne daß sich der Nutzer über Eigentumsrechte Gedanken machen muß.

Die 1999 an den Start gegangene Musiktauschbörse Napster wurde von der Plattenindustrie noch juristisch erfolgreich bekämpft. Durch die massentauglichen Adaption via Amazon, Apple oder Youtube hat sich das Problem der illegalen Nutzung von Inhalten faktisch von selbst erledigt. Dennoch sind längst nicht alle Probleme des Urheberrechts im digitalen Zeitalter gelöst.

Geistige Tätigkeit basiert auf Leistungen unserer Vorfahren. Wir stehen auf den Schultern von Titanen. In ähnlicher Weise formulierte bereits im Jahr 1120 der Philosoph Bernhard von Chartres diese Erkenntnis. Jede Adaption einer alten Idee wird so der Zukunft übereignet. Bewußtseinsinhalte (Meme) pflanzen sich fort, werden weitergetragen, ausgebaut, angepaßt, dekonstruiert und neu zusammengesetzt. Wer kann sich gegen diese Entwicklung wehren? Sie ist Kern des zivilisatorischen Wachstums.

Wie wird die Leistung einer digitalen Ware entlohnt?

Physische Güter lassen sich nicht ohne weiteres teilen. Sie werden dabei beschädigt oder gar zerstört, zumindest aber immer kleiner und leichter. Carsharing lohnt sich nur, wenn alle Nutzer sorgsam mit dem Auto umgehen. Physische Güter eignen sich daher eher zum Besitzen und Tauschen. Daten und Ideen allerdings werden nicht weniger, wenn man sie teilt. Sie werden dabei auch nicht zerstört. Ganz im Gegenteil. Daten und Ideen werden im Prozeß des Teilens wertvoller, wenn sie hinterfragt, ergänzt und zu weitergehenden Gedanken und Plänen ausgebaut werden.

Eine beliebig große Menge an Menschen kann von einer digitalen Ware gleichzeitig Gebrauch machen. Im Gegensatz dazu sind physische Güter knapp: Die Benutzung einer Ladestation schließt andere E-Auto-Besitzer stundenlang von der Nutzung aus. Digitale Waren sind also im Gegensatz zu physischen Gütern nicht rivalisierend.

Dies hat auch Auswirkungen auf die viel größere Welt der physischen Güter. Um lebensnotwendige Waren herzustellen, braucht es heute in der Regel viel weniger Arbeitszeit als früher, dafür aber sind ihre Produzenten abhängiger von Informationen. Im Wettbewerb gewinnt heute derjenige, der sich besser informiert und schneller an neue Erkenntnisse anpaßt – seien es Kundenwünsche, Produktionsmethoden oder Rohstoffpreise. Nicht allein Maschinen, Menschen und Rohstoffe sind entscheidend für den Erfolg eines Produkts – alle drei sind dank der Globalisierung zu vergleichbaren Konditionen erhältlich – sondern die guten Ideen, die besseren Daten und die effizienteren Netzwerke.

Dabei ist der Unterschied zwischen einem Produkt und seiner Idee ein elementarer. Das Produkt, beispielsweise ein Tisch, kann eindeutig einem Eigentümer zugeordnet werden. Beanspruchten zwei Menschen das Eigentum an einem Tisch, dann würde dies letztlich einem zweigeteilten und deshalb unbrauchbaren Tisch führen. Die Idee jedoch, die dem Tisch zugrunde liegt, kann kopiert und verbreitet werden, ohne daß ihre Qualität, Integrität und ihr Nutzwert einen Schaden erleidet. Physisch fehlt keinem Menschen etwas, wenn seine Idee von einem seiner Mitmenschen gleichzeitig genutzt wird.

Daraus ergibt sich ein großes Problem: Ein kreativer Mensch, der eine digitale Ware produziert – eine wissenschaftliche Erkenntnis, einen Text, ein neues Verfahren, eine Technologie –, hat im Vorfeld viel investiert, vor allem Zeit und Geld. Sobald er seine digitale Ware einmal preisgibt, ist es ohne großen Aufwand möglich, diese zu speichern, zu kopieren und zu verbreiten. Der Erschaffer hat kaum eine Möglichkeit, Vorteile aus seinem Schaffensprozeß zu ziehen. Im Vergleich zu seinen möglichen Mitbewerbern hat er die Kosten getragen und kann demzufolge keinen konkurrenzfähigen Preis verlangen.

Sprich: Unter den natürlichen Wettbewerbs- und den aktuellen technischen Bedingungen bewegt sich der Wert einer digitalen Ware in Richtung null – zumindest nach ihrer Veröffentlichung.Warum sollte sich der potentielle Erschaffer einer digitalen Ware dann überhaupt ans Werk machen? Warum sollte er Zeit, Geld und Kraft investieren, wenn er sich später kaum Hoffnungen auf eine angemessene Rendite machen kann, weil seine Ware aus Bits und Bytes in Windeseile über das ganze Netz verbreitet werden kann?

Dies ist eine Frage, auf die der Markt eine Lösung finden muß. Die Diskussion um Urheberrechte, geistiges Eigentum und digitale Waren wird dominiert von Vorschlägen, die die Ausweitung juristischer Regelungen oder die Einführung von sozialen Ausgleichsleistungen vorsehen, wie die Diskussion um das „bedingungslose Grundeinkommen“ (JF 24/16) zeigt. Ist aber der Markt auch selbst dazu in der Lage, einen Wert für digitale Waren abzubilden, mit dem Produzenten wie auch Nutzer, Verwerter und Konsumenten sinnvoll wirtschaften können? Diese Frage ist eine der zentralen Herausforderungen der Gegenwart – aber ist dazu wirklich ein eigenes Bundesdigitalministerium nötig?