© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/17 / 29. September 2017

Blinde Scheinwerfer
Journalisten und Politik: In relevanten Fragen sind sich staatliche und private Leitmedien einig
Thorsten Hinz

Der Vorstandsvorsitzende des Axel-Springer-Konzerns und Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger, Mathias Döpfner, nutzte die Jahrestagung des Verbandes, um wahre Breitseiten gegen die öffentlich-rechtlichen Sender abzufeuern. Zusammengefaßt lauteten sie: Die „gebührenfinanzierte Staats-Presse“ nehme den privaten Medien „Entfaltungsmöglichkeiten“, wodurch das duale System ins Wanken gerate. Das sei nicht „im Interesse von Demokratie und Rechtsstaat“, denn erst Wettbewerb und die Konkurrenz ließen Meinungspluralismus entstehen. „Nur Staatsfernsehen und Staatspresse im Netz – das wäre eher etwas nach dem Geschmack von Nordkorea.“ 

Billig war die Retourkutsche der ARD-Vorsitzenden Karola Wille, die von „Fake News“ sprach. Döpfner hat die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks tendenziell richtig eingeschätzt, doch betreibt auch er ein falsches Spiel, wenn er die privaten Medien als funktionierendes Korrektiv hervorhebt. In den relevanten Fragen und Debatten der letzten Jahre – Ukraine- und Krim-Krise, Putin, Syrien, Freihandel, Refugee-Welcome-Kampagne, Trump-Wahl, Sarrazin, Sieferle – bildeten die staatlichen und privaten Medien eine politisch-ideologische Einheitsfront. Gerade in der Freund-Feind-Kennung herrscht absolute Einigkeit. Und die mit der AfD befaßten Journalisten gleichen durchweg einer Meute scharfgemachter Kampfpinscher. In formellen Bündnissen wie dem Rechercheverbund der Süddeutschen Zeitung, dem NDR und WDR zeichnen sich die künftigen medienpolitischen Konturen bereits ab. 

Döpfner spricht ebenfalls die Sprache des Mainstreams, wenn er dazu aufruft, den „rechten Hetzern die Verschwörungstheorie von der Political-Correctness-Mafia zu zerstören“, und dekretiert, „rechtsradikale Haltungen sind aus gutem Grund ein Tabu seit ’45, und sie zu brandmarken, gehört zur Staatsräson“. Sein Anliegen besteht lediglich darin, daß der Kuchen in seinem Sinne gerechter verteilt wird. 

Der Alt-68er und Springer-Journalist Thomas Schmid hat kürzlich angemerkt, hinter dem journalistischen Gleichklang stecke „keine Absicht, kein Plan. Es ist auch keine Machenschaft. Vielmehr sind Bequemlichkeit, Opportunismus, Herdentrieb und der feste Wille am Werk, keinesfalls in gedankliche Sphären vorzudringen, in denen es ungemütlich werden könnte.“ 

Thomas Hoof, Verleger des Sieferle-Buches „Das Migrationsproblem. Masseneinwanderung und Sozialstaat“, bescheinigte ihm in einem offenen Brief, mit wenigen Strichen den „Mitläufer“ als „den journalistischen Normalfall“ gezeichnet zu haben. Dieser sei einer „Personalakquise geschuldet, mit der offenbar nur herdentriebhafte, bequeme, gedankenarme und opportunistische, kurz: mitläuferische Nachwuchskräfte rekrutiert“ wurden.

Ihre gängigen Mittel seien das „Totschweigen und Skandalisieren“, wie der Medienwissenschaftler Hans Mathias Kepplinger in dem gleichnamigen Buch analysiert hat. Kepplinger widmet sich unter anderem den irreführenden Darstellungen von Ausschreitungen am Rande von Pegida-Kundgebungen. Die Gewalt ging klar von Gegendemonstranten aus, doch Schlagzeilen wie „Festnahmen bei Pegida-Demonstrationen“ suggerierten, daß Pegida-Anhänger dafür verantwortlich gewesen seien. Zwar lehnt eine Mehrheit der Journalisten solche Praktiken in der Theorie ab, doch eine relevante Minderheit, nämlich ein Viertel, hält sie entschieden für legitim, und zwar mit der Begründung, daß „die Pegida-Kundgebungen (…) der eigentliche Grund für die Ausschreitungen waren“.

Diese Minderheit war und ist keineswegs isoliert, sondern stößt in ihrer Berufsgruppe auf breites Verständnis und findet sogar Unterstützung durch unterlassene Richtigstellungen, durch Rechtfertigungen oder vordergründig neutrale Berichte, die die Schuldfrage offenlassen. Im Zweifelsfall überwiegen der Korpsgeist und das gemeinsame Interesse an der Aufrechterhaltung der Deutungshoheit. Zudem befanden die Fälscher sich seinerzeit im Einklang mit führenden Politikern, die ein „hartes“ Vorgehen gegen die Protestbewegung forderten. Auf diese Weise erzielten die Falschdarstellungen „Hebelwirkungen“ und setzten sich in der öffentlichen Wahrnehmung durch.

Das ist gewollt! Der Leipziger Medienwissenschaftler Uwe Krüger (JF 18/16) hat in zwei Büchern – „Meiungsmacht“ und „Mainstream“ – die engen Verbindungen von Alpha-Journalisten zu politischen Netzwerken nachgewiesen. Unterbelichtet bleiben gewöhnlich die Auswirkungen der konkreten Besitzverhältnisse der Medien und die zunehmende Pressekonzentration. Noch einmal Döpfner: Der Chef eines der größten Medienhäuser Europas ist laut Wikipedia auch Mitglied des International Advisory Council der RCS Media Group, seit Mai 2014 im Board of Directors von Warner Music und seit 2015 Chairman of the Board of Directors bei Business Insider Inc., USA. Zu seinen Mandaten in Non-Profit-Organisationen zählen Mitgliedschaften in den Aufsichtsgremien des European Publishers Council (EPC), der American Academy in Berlin, dem American Jewish Committee und Mitglied im Global Board of Advisors des US-amerikanischen Think Tanks Council on Foreign Relations. Döpfner ist Mitglied des Vereins Atlantik-Brücke, dessen ‘Young Leader’-Programm er abgeschlossen hat. Er war Kuratoriumsmitglied des Berliner Aspen-Instituts, weiterhin war er ein Teilnehmer der Bilderberg-Konferenz 2015.

Er ist ein idealtypischer Multifunktionär, in dem sich geschäftliche, politische, ökonomische, ideologische Interessen bündeln, wobei die transatlantischen Verbindungen besonders auffallen. Ohne dieses Interessenbündel sind die Wirkungsabsichten und -strategien des von ihm geleiteten Konzerns nicht zu erklären. Ähnliches ließe sich auch bei Bertelsmann, Burda und anderen großen Medienhäuser darstellen, die den deutschen Medienmarkt unter sich aufgeteilt haben. Zugleich sind sie Teil einer auf Globalisierung ausgerichteten Wirtschaft und teilen damit das wirtschaftliche und politische Interesse an der Einebnung nationalstaatlicher Grenzen und Eigenheiten. Was von ihren Medien als „rechts“ – ehedem die Bezeichnung für eine höchst ehrenwerte Gesinnung – stigmatisiert wird, ist die Verteidigung von Strukturen, die die Globalisierung hemmen: Familie, Region, Staat, kulturelle Distinktion, Volkssouveränität.

Vor diesem Hintergrund wäre es zu einfach, das Mitläufertum von Journalisten ausschließlich auf subjektives Versagen wie ideologische Verblendungen zurückzuführen. Journalisten sind abhängige Lohnarbeiter, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen. Ihre Produkte, Wort- und Bildbeiträge, sind Waren, die – in der marxistischen Terminologie – einen Gebrauchs- und einen Tauschwert besitzen. 

Der Gebrauchswert meint den individuellen oder gesellschaftlichen Nutzen. In dem Fall besteht er nach den Worten Döpfners darin: „Journalismus ist der Scheinwerfer der Aufklärung oder, eine Nummer kleiner, zumindest die Taschenlampe des mündigen Bürgers“, dieses „wahren Souveräns der Demokratie“. Noch pompöser ausgedrückt: Er ist ihre vierte Säule!

Doch die Praxis sieht anders aus. In der sogenannten Flüchtlingskrise hat sich der wahre Zustand des Staates, der Demokratie und der Medien enthüllt: Die Merkel-Exekutive errichtete eine „Herrschaft des Unrechts“ (Horst Seehofer), die Legislative und die Judikative sahen tatenlos zu, während die Medien jubelten. Ihr Gebrauchswert bestand in der Irreführung, Manipulation und Einschüchterung.

Die Frage, warum die meisten sich vom Irrsinn korrumpieren lassen, beantwortet sich mit dem Hinweis auf den Tauschwert. Er bezeichnet die Gegenleistung, die Entlohnung, die man für sein Produkt erhält. Dieser wird in komplexen Gesellschaften von den Zwischenhändlern – in diesem Fall: von den monopolistischen Medienkonzernen – festgelegt.

Georg Lukács hat in seinem 1923 erschienenen Buch „Geschichte und Klassenbewußtsein“ den Einfluß der Produktions- und Besitzverhältnisse auf die Psyche des Arbeiters – also auch des Medienarbeiters – in mustergültiger Weise dargelegt. Der Zwang des Gebrauchs- und Tauschwerts schreibt sich „immer tiefer, immer schicksalhafter und konstitutiver in das Bewußtsein“ ein, so daß die  Arbeitskraft sich von der Persönlichkeit abspaltet und die Individualität und der Eigensinn zu Fehlerquellen werden, die ausgetrocknet werden müssen.

Der Arbeiter wird zum einflußlosen Zuschauer seiner Entfremdung. „Am groteskesten zeigt sich diese Struktur im Journalismus, wo gerade die Subjektivität selbst, das Wissen, die Ausdrucksfähigkeit zu einem abstrakten“, von den Schreibern und „von dem materiell-konkreten Wesen der behandelten Gegenstände“ losgelösten „Mechanismus“ verkommen. „Die ‘Gesinnungslosigkeit’ der Journalisten, die Prostitution ihrer Erlebnisse und Überzeugungen ist nur als Gipfelpunkt der kapitalistischen Entfremdung begreifbar.“ Maximal möglich sind noch ein Virtuosentum und ein Eskapismus, die an der Oberfläche kratzen – gleichgültig, ob jemand in einem staatlichen oder privaten Medienkonzern tätig ist. Die Totschweiger, Skandalisierer, Faktenfälscher – sie sind auch objektiv Deformierte und verdienen als solche Nachsicht.