© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/17 / 06. Oktober 2017

Ländersache: Berlin
Wat jibt’s denn da zu kieken?
Paul Leonhard

Die Berliner Schnauze spricht bereits von mobilen Klohäuschen und meint damit die neue mobile Überwachungstechnik der Polizei. Diese besteht aus einem auf einen Autoanhänger montierten großen Edelstahlkasten, aus dem ein mit zwei Kameras bestücktes Stativ bis zu einer Höhe von sechs oder neun Metern ausgefahren werden kann. Die beiden Kameras sind um 360 Grad schwenkbar und liefern bei Bedarf derart scharfe Bilder, daß selbst die Schrift auf einem Handy noch aus großer Entfernung zu identifizieren ist.

Zwei derartige mobile Kameraanlagen hat Berlins Innenstaatssekretär Andreas Geisler (SPD) für 60.000 bzw. 120.000 Euro angeschafft. In einer dreimonatigen Testphase sollen sie an den Kriminalitätsschwerpunkten Warschauer Straße in Friedrichshain, Alexanderplatz in Mitte, Kottbusser Tor in Kreuzberg, Hermannplatz in Neukölln und Leopoldplatz im Wedding in der Praxis erprobt werden. Danach wisse man, ob die Polizisten bei ihren Ermittlungen durch den Einsatz der mobilen Kameras entlastet würden, sagte Geisler.

Strittig ist derweil, ob der Einsatz der mobilen Überwachungstechnik durch das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) gedeckt ist und die gewonnenen Erkenntnisse gerichtsverwertbar sind. Danach dürfen die Kameras eingeschaltet werden, „wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß dabei Straftaten begangen werden“. Auch Bild- und Tonaufnahmen von öffentlichen Veranstaltungen und Ansammlungen sind gestattet. Daß Innensenator Geisler jetzt einfach eine etwas „breitere Auslegung“ des Gesetzes propagiert, bringt Polizeiprofessor Michael Knape auf die Palme. Eine Videoüberwachung sei nicht allein dadurch gerechtfertigt, weil sich beispielsweise auf dem Alexanderplatz viele Menschen aufhielten. Knape befürwortet zwar den Einsatz von Videoüberwachung, aber auf einer klaren gesetzlichen Grundlage. Diese wird auch von den Liberalen gefordert. „Ein Innensenator, der Grundrechte eng und Eingriffsrechte weit auslegt, hat die freiheitliche demokratische Grundordnung fundamental nicht begriffen“, sagte Marcel Luthe, innenpolitischer Sprecher der FDP. Eine Änderung des ASOG wird aber insbesondere von den Linken in der regierenden rot-rot-grünen Koalition abgelehnt

Mehr Polizisten statt mehr Videotechnik, fordert Linken-Sicherheitsexperte Hakan Tas. Von Augenauswischerei spricht auch Heinz Buschkowsky (SPD). Wen wolle Geisler beeindrucken, wenn er jetzt „mit seinen zwei Bollerwagen auf die Warschauer Brücke“ ziehe, polemisierte der frühere Bürgermeister von Neukölln. Die Berliner würden ein „fundiertes Konzept für mehr Sicherheit und nicht zwei Sicherheitsattrappen erwarten, die ab und zu mal etwas aufzeichnen, wenn gerade jemand da ist, sie zu bedienen“.

Buschkowsky ist Mitinitiator des „Aktionsbündnisses für mehr Videoaufklärung und Datenschutz“. Dieses sammelt seit Mitte September Unterschriften für ein Volksbegehren. Ziel sei letztlich eine Volksabstimmung, so Sabine Schumann, Vize-Landeschefin der Deutschen Polizeigewerkschaft. Erzwungen werden soll eine Änderung des Polizeigesetzes, damit die Überwachung von 50 besonders kriminalitätsbelasteten Orten in Berlin rund um die Uhr durch Kameras möglich wird. Das Vorhaben wird von beiden Polizeigewerkschaften und von der CDU unterstützt.