© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/17 / 06. Oktober 2017

Verdrängt und kleingeredet
Hamburg-Billbrook: Wo Deutsche zur absoluten Minderheit geworden sind
Hinrich Rohbohm

Mißtrauisch blickt der alte Mann aus seinem etwas verwilderten kleinen Garten herüber. „Was suchen Sie denn?“ fragt er. Wir suchen ihn, einen Einwohner des Hamburger Stadtteils Billbrook. Einer Gegend, die Politiker als Problemviertel der Elbmetropole bezeichnen. Östlich der Innenstadt gelegen. Industriegebiet. Standort eines Heizkraftwerks und einer Müllverbrennungsanlage. Gezeichnet vom Dioxinskandal Ende der achtziger Jahre. Belasteter Boden. Unattraktive Wohngegend. Der Anteil von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund liegt bei fast 90 Prozent. Nicht wenige Hamburger bezeichnen Billbrook als das Viertel der gesellschaftlich Abgehängten. Ein Viertel, in dem die Alternative für Deutschland (AfD) bei der Bundestagswahl am 24. September 27,6 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte. Exakt so viele wie die SPD. Und die Wahlbeteiligung nur 39,3 Prozent betrug.

„Wundert mich überhaupt nicht“, sagt der alte Mann, hält mit seiner Gartenarbeit inne und stellt seine Schubkarre ab. Er kramt eine Zigarettenschachtel aus seiner Hemdtasche. „Auch eine? Nein? Na, schon richtig so. Aber ich halt’s da mit unserem Helmut Schmidt. Das war noch ein echter Kerl als Politiker. Die heutigen Figuren da kann man ja vergessen.“ Nein, er hat nicht AfD gewählt. „Ich halte trotz allem der SPD die Treue.“ Das habe schon sein Vater und Großvater getan. „Aber ich kann verstehen, daß viele die Schnauze voll haben und AfD wählen. Das ist die nackte Wut.“

Viele seiner Bekannten hätten dieses Mal ihr Kreuz „bei der rechten Partei“ gemacht. „Waren alles mal SPD-Wähler. Die fühlen sich von der Politik nicht mehr vertreten, ihre Probleme werden verdrängt und kleingeredet.“

Er spricht von Drogenhändlern, von Raub, Diebstahl, Einbrüchen und Gewalt. Davon, daß von der Politik lediglich Lippenbekenntnisse kämen. „Die etablierten Parteien werfen der AfD zwar zu Recht vor, keine Lösungen anzubieten. Nur von ihnen selbst kommt da leider auch viel zuwenig. Jeder sieht doch, was hier vor sich geht“, deutet er an. Dann beginnt der alte Mann mit dem Finger in der Luft zu kreisen. „Sehen Sie sich um, was hier los ist. Einfach mal ein paar hundert Meter weitergehen, dann wissen Sie, was ich meine.“

„Roma, Sinti und Afghanen machen hier viele Probleme“

Ein paar hundert Meter weiter macht die Straße eine Biegung. Zum Vorschein kommt ein heruntergekommener Wohnblock. Überquellende Müllcontainer stehen davor. Auf dem Rasen wehen Papier und Plastiktüten umher. Die Fenster im Erdgeschoß sind mit Spanholzplatten vernagelt, die Hauswände mit Graffiti beschmiert. Zumeist leben hier Zigeuner, moslemische Migranten und ehemalige Obdachlose. Teppiche hängen von den Balkonen. „Der Müll wird oftmals einfach nur aus dem Fenster geworfen“, beklagt ein Anwohner. „Roma und Sinti, aber auch Afghanen machen hier viele Probleme.“ Die Situation sei „wirklich schlimm, aber niemand unternimmt etwas“. Drogenkosum, Raub und Gewalttaten seien in Billbrook an der Tagesordnung.

Wie aufgeladen und aggressiv die Stimmung ist, erleben wir hautnah mit, als wir Fotos machen wollen. „Löschen“ lautet die scharfe Aufforderung eines etwa 20 Jahre alten mutmaßlichen Zigeuners. „Haltet ihn fest“, ruft ein anderer. Der Zigeuner pfeift, winkt Freunde heran. Weitere fünf Bewohner eilen herbei. Dann zieht er seinen Gürtel aus der Hose, hebt ihn an, droht zuzuschlagen. Nur mit Mühe läßt sich die Situation entschärfen.

Fast die Hälfte der Bewohner kommt aus Südosteuropa, weitere 40 Prozent aus Afghanistan. Eine ähnliche Wohnunterkunft war bereits im Jahre 2002 aufgegeben worden, weil sie im Laufe der Zeit unbewohnbar geworden war.

„Hier geht es doch schon seit Jahrzehnten bergab“, meint ein weiterer Anwohner. Auch er habe AfD gewählt. „Aber öffentlich möchte ich damit nicht in Zusammenhang gebracht werden“, bittet er. Daß die neu im Bundestag vertretene Partei die Probleme von Zuwanderung und Kriminalität besser lösen könne als die etablierten Politiker glaubt er zwar nicht. „Aber irgendwie muß man seinen Protest in der Wahlkabine ja auch ausdrücken können.“ Vielleicht würden nun „unsere führenden Politiker endlich aufwachen“. Und falls nicht? „Dann holt die AfD hier nächstes Mal über 50 Prozent“, ist er überzeugt.