© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/17 / 06. Oktober 2017

Brüssel legt sich mit dem Silicon Valley an
Wettbewerbsrecht: EU-Kommission wirft Google den Mißbrauch seiner marktbeherrschenden Stellung vor
Dirk Meyer

Anzeigenblätter, Autovermieter, Fernseh- und Radiowerbung oder Reisebüros gibt es trotz Umsatzeinbrüchen und der Konkurrenz aus dem Netz weiterhin. Selbst die vor 162 Jahren erstmals in Berlin aufgestellten Litfaßsäulen existieren noch in Deutschland. Aber bereits damals stellte sich ein Wettbewerbs- und Freiheitsproblem: Der Staat störte sich damals an der verbreiteten Wildplakatierung. Die neuen Annonciersäulen des Druckereiunternehmers Ernst Litfaß waren die Lösung: Für die Errichtung von Anschlagsäulen „zwecks unentgeltlicher Aufnahme der Plakate öffentlicher Behörden und gewerbsmäßiger Veröffentlichungen von Privatanzeigen“ erhielt Lifaß ein bis 1880 laufendes Monopol. Daß damit auch die (Vor-)Zensur der Inhalte inbegriffen war, erinnert an das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das seit 1. Oktober gilt.

Innovative Geschäftsmodelle erfordern nun neue wettbewerbsrechtliche Herangehensweisen. Im Fokus stehen digitale Geschäftsmodelle: Soziale Netzwerke, Vergleichs-, Bewertungsportale, Suchmaschinen, Sharing-Plattformen, Online-Marktplätze. Seit 2010 ermittelt die EU-Kommission gegen Google aufgrund von Beschwerden spezialisierter Suchdienste. Der Vorwurf: Verstoß gegen die Suchneutralität. Unter mißbräuchlicher Ausnutzung seiner marktbeherrschenden Stellung durch seine Suchmaschine Google Search soll der im Silicon Valley angesiedelte US-Mutterkonzern Alphabet in bezug auf den Preisvergleichsdienst Google Shopping Konkurrenten schlechter gestellt haben.

Die Suchergebnisse konkurrierender Dienste sollen systematisch nach hinten gerutscht sein. Ende Juni 2017 erließ die EU-Wettbewerbsbehörde gegen Alphabet eine Kartellbuße von 2,42 Milliarden Euro. Die Praktiken sind innerhalb von drei Monaten abzustellen. Entsprechend dem Grundsatz der Gleichbehandlung muß Google auf seinen Suchergebnisseiten dieselben Verfahren für die Plazierung konkurrierender Preisvergleichsdienste anwenden wie bei seinen eigenen Diensten. Im Falle einer Zuwiderhandlung droht ein tägliches Zwangsgeld von 190 Millionen Euro auf der Basis von fünf Prozent des weltweiten Umsatzes. Ohne Konsequenz für den sofortigen Vollzug des Urteils bleibt Googles Beschwerde gegen die Kartellbuße und die damit verknüpften Auflagen, die der Konzern wohl auch wegen des Präzedenzcharakters eingelegt hat. Damit dürfte das Verfahren um mehrere Jahre verlängert werden.

Bei neutraler Herangehensweise an den vermeintlichen Mißbrauchsvorwurf fließen verschiedene Faktoren mit ein. So muß zunächst eine Abgrenzung des relevanten Marktes und damit der möglichen Konkurrenten vorgenommen werden. Sind nur allgemeine Suchmaschinen (Bing, Yahoo) mit im Wettbewerb, gegebenenfalls auch spezielle Suchmaschinen (Händlerplattformen, soziale Medien, Fotodienste) oder gar die Direkteingabe von Webadressen (ebay.de, amazon.de, ardmediathek.de) für eine Marktabgrenzung relevant?

Insofern ist Google Search keineswegs Monopolist, der bei der Internetrecherche unverzichtbar wäre. Wohl aber unbestritten ist seine dominierende Marktmacht von über 90 Prozent in den meisten EU-Ländern bei der allgemeinen Recherche. Eine Marktbesonderheit sind sogenannte Netzwerkeffekte. Je mehr Verbraucher eine Suchmaschine nutzen, desto attraktiver wird sie für Werbekunden. Entsprechend höhere Entgelte für Werbebanner kann Google durchsetzen. Diese Netzwerkeffekte wirken als Marktzutrittsschranke für neue Suchdienste, die es schwerer haben, in dem Markt Fuß zu fassen.

Zurückhaltung bei Regulierungseingriffen?

Zugleich wird das Phänomen mehrseitiger Marktbeziehungen hierbei deutlich. Denn Google & Co. bieten nicht nur Suchdienstleistungen an, sondern ermöglichen Werbeträgern Aufmerksamkeit und Bekanntheit. Dies hat Auswirkungen auf die Preisgestaltung und damit auf die Finanzierung der Suchmaschine. Die Marktseite mit dem relativ größten Nutzen finanziert den Dienst. Wenn Werbekunden einen relativ größeren Nutzen haben, so kann es zu einem Nullpreis für Nutzer und einem relativ hohen Werbepreis kommen.

Dies erklärt die „Kostenlos-Kultur“, bei der kein monetäres Entgelt anfällt. Google, WhatsApp, Facebook, aber auch frei empfangbare Sender wie RTL oder ProSieben und Anzeigenblätter geben Beispiele. Im Internet „zahlen“ die Such-Nutzer mit Aufmerksamkeit und der Preisgabe von Daten zu ihren Präferenzen und ihrem Verhalten. Diese können von Google dazu verwendet werden, die Suchergebnisse weiter zu optimieren. Zugleich können sie an Dritte verkauft, quasi zu Geld gemacht werden. Hier setzt das breite Spektrum einer wettbewerbspolitischen Bewertung an.

Nicht der hohe Marktanteil, die damit verbundene Marktmacht, sondern allein ihre mißbräuchliche Ausnutzung kann die Kartellbehörden auf den Plan rufen. Zum einen – so der Vorwurf an Google – könnten Wettbewerber durch die systematische Diskriminierung ihrer Angebote behindert werden (Behinderungsmißbrauch). Der Nachweis ist schwierig. Ein Suchalgorithmus muß werten und deshalb differenzieren. Nur wenn diese Wertungen den Präferenzen der Verbraucher entsprechen, wird ein gutes Ergebnis geliefert. Ein objektiv richtiges Suchergebnis gibt es nicht. Zudem sind die Suchergebnisse immer individualisiert. Nur eine Offenlegung des Suchalgorithmus, der bei Google etwa 500- bis 1.000mal pro Jahr geändert wird, könnte eine Klärung geben.

Hierbei handelt es sich jedoch um ein zentrales Geschäftsgeheimnis, bei dessen Kenntnis Webseitenbetreiber ihre Seiten zu ihren Gunsten manipulieren könnten. Im übrigen müßte man dann auch den Supermarktketten verbieten, ihre Eigenmarken prominenter zu plazieren als entsprechende Konkurrenzprodukte. Zum anderen könnten die Nutzer durch die Datensammlung und -auswertung mißbräuchlich ausgenutzt werden, indem beispielsweise gegen ihre Datenschutzinteressen verstoßen wird (Ausbeutungsmißbrauch). Diesem Vorwurf geht das Bundeskartellamt in einem laufenden Verfahren gegen Facebook nach.

Fazit: Eine wettbewerbspolitische Beurteilung läßt erhebliche Spielräume zu. Die Marktanteile sind in dynamischen Märkten sehr unbeständig. So wurden in kurzer Zeit soziale Netzwerke wie MySpace und StudiVZ durch Facebook verdrängt. Der Wettbewerb findet vornehmlich über Produktinnovationen statt. Eine Zurückhaltung bei Regulierungseingriffen scheint deshalb geboten. Konkret könnte man Google eine Kennzeichnung eigener Dienste auferlegen.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.





Wenig Konkurrenz bei Suchmaschinen

In Deutschland hat Google bei den Internet-Suchmaschinen je nach Meßmethode seit Jahren einen stabilen Marktanteil von etwa 90 bis 95 Prozent. Bing (Microsoft) und Yahoo (Verizon) – ebenfalls in den USA ansässig – erreichen bestenfalls vier bis acht bzw. um ein Prozent. Faktisch im Promillebereich meßbare Anbieter wie Web.de oder T-Online nutzen Google-Suchergebnisse. Ähnlich überschaubar dürften derzeit Suchmaschinen mit angeblich anonymer Suche wie DuckDuckGo eingesetzt werden. Im Jahr 2000 sah das noch anders aus, da hatten Altavista, Lycos und MSN (Microsoft) oder die deutschen Entwicklungen Metager (Uni Hannover) oder Fireball (TU Berlin) Marktanteile von fünf bis über zehn Prozent. Yahoo und Google lagen damals unter 20 Prozent. Vor zehn Jahren erreichte Google erstmals einen Marktanteil von knapp 90 Prozent und hält sich seither auf diesem Niveau. Ernstzunehmende Konkurrenz erwächst allenfalls durch Baidu (Marktführer in China) und Yandex aus Rußland. Beide bieten wie Google einen fast vollständigen globalen Index.