© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/17 / 06. Oktober 2017

Auf die Macht des Faktischen vertrauen
Stadtgestaltung: In Potsdam beginnt der Wiederaufbau des Turms der Garnisonkirche
Peter Möller

Bevor wiederaufgebaut werden kann, muß erst einmal abgerissen werden. Deshalb rückte in der vergangenen Woche in Potsdam ein Abbruchunternehmen an, um auf dem Baufeld der 1730 bis 1735 unter König Friedrich Wilhelm I. errichteten Garnisonkirche, die nach einem Luftangriff im April 1945 ausbrannte und 1968 vom SED-Regime endgültig abgeräumt wurde, den Boden für die Rekonstruktion zu bereiten.

Seit 2005 warb ein gemauerter Spitzbogen an der Stelle, an der einst der 90 Meter hohe Turm der Kirche stand, für das ambitionierte Vorhaben. Im Bogen aufgehängt war ein Nagelkreuz, das die Zugehörigkeit der Garnisonkirchenstiftung zur internationalen Nagekreuzgemeinschaft symbolisiert. Diese hat ihren Ursprung in der Kathedrale der englischen Stadt Coventry, die im November 1940 bei einem deutschen Luftangriff zerstört worden war. Aus den Trümmern der Kirche wurden drei Zimmermannsnägel geborgen und zu einem Kreuz zusammengesetzt, das heute weltweit als Zeichen der Versöhnung ehemaliger Kriegsgegner gilt.

Die Mitgliedschaft der Garnisonkirchenstiftung in diesem Verbund speist sich auch aus dem Wunsch, ein Gegengewicht zum sogenannten „Tag von Potsdam“ zu bilden, mit dem die Nationalsozialisten 1933 vor der Kulisse der symbolträchtigen Militärkirche versuchten, sich in die Tradition des alten Preußens zu stellen. Für die Gegner des Wiederaufbaus war und ist der Tag von Potsdam bis heute das Hauptargument für ihre ablehnende Haltung. Aus diesem Grund verschwindet das Potsdamer Nagelkreuz während der Bauzeit auch nicht im Depot, sondern ist in ein provisorischen Pavillon neben der künftigen Baustelle gezogen, während der Bogen nun Ziegel für Ziegel abgebrochen wird. Denn ab Mitte des Monats wird tatsächlich richtig gebaut. Jedenfalls die erste Etappe.

Dabei wird zunächst für rund 26 Millionen Euro nur der einstmals stadtbildprägende Turm der Kirche in einer abgespeckten Version inklusive einer Aussichtsplattform in 60 Metern Höhe errichtet. Auf den barocken Zierat, die charakteristische Turmhaube des einst höchsten Kirchturms Potsdams, muß aus Kostengründen vorerst verzichtet werden. Sobald die Baufortschritte sichtbar werden, so hoffen die Verantwortlichen, werden sich weitere Spender finden, um das Äußere des imposanten Turms originalgetreu wiederherstellen zu können.

Die Rechnung könnte aufgehen, wie ein Blick ins nahe Berlin zeigt. Als dort mit der Rekonstruktion des Stadtschlosses begonnen wurde, war beispielsweise die Kuppel nur im schmucklosen Rohbau eingeplant. Erst als der Bau bereits weit fortgeschritten war, fand sich ein Spender, der dafür sorgte, daß nun die einstige Pracht der Kuppel vollständig wiederhergestellt werden kann.

Für das Kirchenschiff fehlen 60 Millionen Euro

Hinzu kommt, daß Potsdam seit der Wiedervereinigung ein beachtliches Mäzenatentum entwickelt hat. Anfang des Jahres erst ermöglichten drei Großspenden in Höhe von insgesamt 1,75 Millionen Euro eine Finanzierungslücke zu schließen, die den Start der Rekonstruktion der Garnisonkirche in Frage gestellt hatte. Doch nicht nur die Zuversicht, weitere finanzstarke Unterstützer zu finden, hat die Stiftung veranlaßt, endlich mit dem Bau zu beginnen. Die Tücken der deutschen Bürokratie drohten das Projekt zu kippen: Denn 2019 läuft die 2013 erteilte Baugenehmigung ab. Der dann notwendige erneute Gang durch die Behörden hätte den Baubeginn um Jahre verzögert.

Trotz des anhaltenden Streits über den Wiederaufbau können die Initiatoren auf die Unterstützung des Bundes zählen. Die Bundesregierung hat zwölf Millionen Euro für die Garnisonkirche als Anschubfinanzierung zugesagt, da der Wiederaufbau des einstigen Potsdamer Wahrzeichens auch in der zunächst geplanten abgespeckten Variante des Kirchturms als Projekt von nationaler Bedeutung angesehen wird. Das Bauvolumen ist dennoch nicht nur aufgrund der Höhe des Turmes imposant. Die Pläne sehen in der mehrgeschossigen Turmbasis auf 1.200 Quadratmetern Fläche neben einer Kapelle auch Platz für Seminarräume und Ausstellungen vor.

Landeskirche ist gegen die historische Rekonstruktion

So groß die Freude unter den Befürwortern des Wiederaufbaus auch ist, daß es nun zumindest mit dem Turm endlich losgeht – wann das Kirchenschiff folgt, steht in den Sternen. Dem vollständigen Wiederaufbau steht derzeit neben der Frage der Finanzierung – für das Kirchenschiff werden noch einmal 60 Millionen Euro benötigt – auch noch buchstäblich ein Rechenzentrum aus DDR-Zeiten im Weg. Der sanierungsbedürftige Bau wird seit einiger Zeit von Künstlern als sogenanntes Kreativhaus genutzt. Die Stadt hatte diese Zwischennutzung ursprünglich bis 2018 begrenzt, um dann den Abriß für den Wiederaufbau des Kirchenschiffs zu ermöglichen. Da dieser zumindest mittelfristig illusorisch ist, wurde den Künstlern von Potsdams Bürgermeister Jann Jakobs (SPD) mit Zustimmung der Kirchenstiftung eine Nutzung bis 2023 zugesichert.

So unbefriedigend diese erneute Verzögerung auf den ersten Blick auch erscheinen mag – sie könnte sich als segensreich für den originalgetreuen Wiederaufbau erweisen. Denn während die Rekonstruktion des Turms ausgemachte Sache ist und höchstens durch die angespannte Finanzlage der Stiftung in die Länge gezogen werden kann, sieht es beim Kirchenschiff aus Sicht der Traditionalisten ziemlich finster aus. 

Denn im vergangenen Jahr, als die Finanzierung der Kirche wieder einmal auf der Kippe stand, verzichtete die Stiftung auf den Plan, das Kirchenschiff originalgetreu wieder aufzubauen. Dadurch sicherte sie sich mehrere dringend benötigte Kredite der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz über insgesamt fünf Millionen Euro. Der Haken an dem Geschäft: Die Landeskirche sichert sich im Gegenzug ein Mitspracherecht bei der Architektur des Kirchenschiffs. Die stark politisierte Kirchenführung unter dem weit links stehenden Bischof Markus Dröge (62) will verhindern, das der Bau historisch exakt wiederaufgebaut wird. Wie wichtig den Kirchenoberen dieser Punkt ist, zeigt sich daran, daß sie darauf bestanden diesen von ihnen geforderten historischen Bruch in der Architektur sogar vertraglich festzuschreiben.

Daß der Baubeginn für das Kirchenschiff nun weit ins nächste Jahrzehnt geschoben wurde, läßt Platz für die Hoffnung, daß hier noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Und vielleicht wird auch bei der schier endlosen Geschichte des Wiederaufbaus der Potsdamer Garnisonkirche am Ende die Macht des Faktischen den Ausschlag geben: Wenn sich der Turm der Kirche in seiner ganzen barocken Pracht weithin sichtbar in den märkischen Himmel streckt, wird vielleicht auch dem verstocktesten Kirchenfunktionär der Gedanke an einen künstlich erzeugten architektonischen Bruch absurd erscheinen.

 http://garnisonkirche-potsdam.de/nc/