© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/17 / 06. Oktober 2017

Knapp daneben
Die Proteststimmung kommt nicht von ungefähr
Karl Heinzen

Alkohol macht glücklich. Die Menschen anderer Weltteile mußten sich dieses Wissen erst aneignen – stets mühsam und oft auch unter großen Opfern. Einige verweigern sich ihm bis heute. Dem Abendland ist es in die Wiege gelegt. Wer die Frage beantworten will, warum Europa über Jahrhunderte eine bis heute nachhallende Dominanz in der Welt ausüben konnte, kommt nicht um die Antwort herum: Es war nicht allein die Überlegenheit der Waffen und auch nicht der Technologievorsprung. Hätten es Kreuzfahrer, Konquistadoren und Kolonialarmeen nicht verstanden, zielorientiert einen über den Durst zu trinken, wären sie wahrscheinlich nie zu ihren Eroberungszügen aufgebrochen, und die Welt hätte vielleicht gar nicht bemerkt, daß es ihren kleinen, verschrumpelten Kontinent überhaupt gibt.

Viele Beobachter im Ausland wundern sich, warum die reichen Deutschen an der Politik rumnörgeln.

Die segensreiche Wirkung des Alkohols wurde zwar oft besungen. Über eine wissenschaftliche Erklärung verfügte man bislang aber nicht. Nun haben Forscher wenigstens für das Leitgetränk Bier Licht ins Dunkel gebracht. Ein Team von Lebensmittelchemikern der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg stellte sich die Frage, welche Bestandteile von Nahrungsmitteln imstande sein könnten, das Belohnungszentrum im Gehirn zu aktivieren und damit ein wohliges Gefühl beim Konsum wachzurufen. Aus 13.000 in Lebensmitteln anzutreffenden Molekülen identifizierten sie 17, die auf diese Weise mit dem Dopamin-D2-Rezeptor interagieren dürften. Als das wirksamste von ihnen erwies sich Hordenin, ein Inhaltsstoff von Bier.

Dieses Forschungsergebnis gibt nicht bloß dem einzelnen eine Anleitung an die Hand, wie er aus seelischen Tiefstimmungen herausfinden kann. Es erlaubt auch, gesellschaftliche Befindlichkeiten besser zu verstehen. Viele Beobachter im Ausland wundern sich, warum die Deutschen ihren imponierenden Wohlstand nicht einfach genießen, anstatt an der Politik herumzunörgeln. Eine Erklärung bietet ihnen die Statistik: Seit 1990 ist der Pro-Kopf-Verbrauch von Bier um 27 Prozent zurückgegangen. Das entspricht in etwa dem Protestpotential in unserem Land.