© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/17 / 13. Oktober 2017

Das große Aufbegehren bleibt aus
Junge Union: Beim Deutschlandtag lassen viele hinter vorgehaltener Hand ordentlich Dampf ab – nur ein Delegierter riskiert die offene Attacke
Hinrich Rohbohm

Die Reaktionen reichen von Beschimpfungen bis Lob und Respektbekundungen. Über 300 E-Mails hat Diego Faßnacht bekommen, nachdem er am vergangenen Wochenende auf dem Deutschlandtag der Jungen Union in Dresden die Bundeskanzlerin gefragt hatte, ob sie bereit sei, den Weg für einen personellen Neuanfang in der CDU freizumachen. Eine Frage, die von Teilen der JU-Delegierten mit Buh-Rufen quittiert wird. „Ich finde es übrigens vollkommen in Ordnung, daß meine Wortmeldung auf dem Deutschlandtag auch Widerspruch ausgelöst hat. Natürlich freut man sich darüber nicht, aber es ist allemal besser, wenn Leute ehrlich ihre Meinung kundtun, als wenn sie daran gehindert werden!“ schreibt Faßnacht auf seiner Facebook-Seite zu diesem Vorgang. „Als freiheitsliebender Mensch kann ich nichts weniger ertragen, als wenn einem Meinungsäußerungen untersagt werden sollen“, begründet er seine Haltung. „Sowas führt bei mir nur dazu, daß ich um so deutlicher zu meiner Meinung stehe. Das Ertragen anderer Meinungen ist ein Grundpfeiler einer demokratischen Gesellschaft!“, führt der Kreistagsabgeordnete und Vorsitzender der JU Rhein-Berg weiter aus. 

Hat man im Adenauer-Haus den Knall gehört?

Wie auch mehrere andere JU-Delegierte hatte Diego Faßnacht zum Deutschlandtag Transparente mit Protestbotschaften an die Parteivorsitzende angefertigt. „Inhaltlicher und personeller Neuanfang JETZT“ steht auf einem davon, das er mitbringt, als wir uns mit ihm vor der Dresdener Frauenkirche treffen. Jenem kraftvollen Symbol, das wie kaum ein anderes Bauwerk den Wiederaufbau in den neuen Bundesländern verkörpert. Faßnachts Frage nach der Rücktrittsbereitschaft der Kanzlerin hat eine neue Dimension des innerparteilichen Protests gegen Merkel eingeläutet. Sie könnte ein Aufbruchssignal auch für den Wiederaufbau der CDU gewesen sein, nachdem die Partei unter Merkel zunehmend nach links abgedriftet war. Einen Wiederaufbau mit neuen, unverbrauchten Köpfen, die den Markenkern der Union mehr in den Vordergrund rücken und den von Merkel lange bekämpften konservativen Flügel der Partei wieder mit einbinden, statt ihn auszugrenzen. Draußen ist es inzwischen dunkel geworden, die meisten Delegierten haben das Plenum längst verlassen. Faßnacht spricht von dem Zuspruch, aber auch der Kritik, die ihn nach seiner Aktion erreicht. Kritik an der Kanzlerin hatte es aus der Jungen Union immer wieder mal gegeben. Doch so deutlich war sie bisher selten formuliert worden. „Wenn vom CDU-Generalsekretär vier Tage nach der Wahl ein Schreiben an die Mitglieder herausgeht, in dem dann steht, daß wir alle unsere strategischen Ziele erreicht haben, da frage ich mich, ob sie im Adenauer-Haus noch den Knall gehört haben“, hatte Faßnacht seiner Frage ein provokantes Statement vorangestellt und für Geraune im Saal gesorgt. Die Sanktionierung folgt unmittelbar. Sein Landesverband Nord­rhein-Westfalen distanziert sich von ihm. Die Führungsspitze des Landesverbands Baden-Württemberg läßt seine Plakate schnell wieder einsammeln. „Damit haben wir nichts zu tun“, beeilen sich einige Delegierte aus dem Verband zu sagen. „Einfach nur Plakate mit dumpfen Parolen hochzuhalten ist zu billig“, kritisiert ein Delegierter aus Sachsen-Anhalt. Erst außerhalb des Plenums klopfen JU-Vertreter Diego Faßnacht auf die Schulter. „Super gemacht“, ruft ihm jemand im Vorbeigehen zu. Innerhalb der Halle, im Beisein der Kanzlerin, traute sich dagegen kaum jemand, Beifall für ihn zu klatschen. Daß dennoch viele ähnlich denken, verdeutlicht allein die Reaktion des Parteinachwuchses auf das Erscheinen von CDU-Generalsekretär Peter Tauber. Denn auch Merkels rechte Hand wird von großen Teilen der JU mit Buh-Rufen bedacht. Ein Vorgang, den es auf Deutschlandtagen der Jungen Union so bisher noch nicht gegeben hatte. 

Buh-Rufe gegen Tauber   gelten Merkels Politik

Paradox: Nur wenig später klatschen die Delegierten dann wieder Beifall für die Kanzlerin. Um dann wenig später wieder dem neuen CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt zuzujubeln, dessen Aussagen sich im krassen Widerspruch zur Kanzlerin bewegen. „Wir können nicht auf der einen Seite das konservative Profil schärfen und auf der anderen Seite ein freundliches Gesicht gegenüber den Grünen machen“, betont der Noch-Bundesverkehrsminister.  „Alle schlagen sie jetzt auf Tauber ein, dabei ist das doch momentan die ärmste Sau“, meint ein niedersächsischer Delegierter. Schließlich sei Tauber in seiner Eigenschaft als CDU-Generalsekretär ja nur der Vollstrecker von Merkels Parteipolitik. Um so befremdlicher erscheint angesichts dieser Umstände der Applaus für die CDU-Vorsitzende. „Die Buh-Rufe gegen Tauber sind doch die eigentlichen Buh-Rufe gegen Merkel gewesen. Bei der Kanzlerin traute sich das nur keiner“, erklärt ein weiterer JU-Funktionär, der davon überzeugt ist, „daß es noch innerhalb dieser Legislaturperiode zu einem Wechsel im Parteivorsitz kommen“ werde. Für viele JUler steht längst fest: „Merkels Zeit ist in spätestens vier Jahren abgelaufen. Einer der Delegierten drückte das gegenüber der JF so aus: Eine erneute Kandidatur Merkels „kann, soll und darf sich nicht wiederholen“.