© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/17 / 13. Oktober 2017

Ländersache: Baden-Württemberg
Grün-rotes Prestigeprojekt trifft auf Wirklichkeit
Michael Paulwitz

Es steht nicht gut um die „Gemeinschaftsschule“, das Prestigeprojekt der grün-roten Landesregierung, die sich von 2011 bis 2016 mit rekordverdächtigem Tempo in die Abrißarbeiten am dreigliedrigen Schulsystem gestürzt hatte. Mit allerlei Tricks und Kniffen, von der Erpressung von Kommunen mit dem gänzlichen Entzug des Schulstandorts bis zur Bevorzugung bei der Zuteilung von Finanzmitteln und Stundendeputaten, versuchten die SPD-Kultusminister das Experiment landesweit durchzudrücken.

Nun teilt das mittlerweile vom Juniorpartner CDU geführte Ministerium in Stuttgart mit, daß der Zuspruch zu der im Hauruckverfahren geschaffenen neuen Schulform massiv zurückgeht. Nur noch die Hälfte der 303 Gemeinschaftsschulen im Land bringt überhaupt noch die Mindestzahl von 40 Schülern in der Jahrgangsstufe 5 auf; die andere Hälfte reißt damit die Hürde für Neugenehmigungen. Zwei bringen überhaupt keine fünfte Klasse mehr zusammen. Insgesamt sanken die Anmeldungen im laufenden Schuljahr um acht Prozent, während sie bei Gymnasien und Realschulen deutlich ansteigen.

Das sei zu erwarten gewesen, meint der Städtetag; man habe viel zu schnell viel zu viele Gemeinschaftsschulen eingerichtet. Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) widerspricht da nicht. Der Lobbyverband der Gesamtschulen wiederum wirft ihr vor, die Eltern durch „Negativbotschaften“ verunsichert zu haben – als könnten Väter und Mütter nicht eigenverantwortlich zum Wohl ihrer Kinder entscheiden. Die Ernüchterung hat sich schon länger angekündigt. Fast zwei Drittel der in Gemeinschaftsschulen angemeldeten Fünftkläßler hatten 2016 eine – in Baden-Württemberg seit dem grün-roten Regierungsantritt nicht mehr verbindliche – Hauptschulempfehlung, nur etwa acht Prozent galten als gymnasialtauglich. Gymnasiale Oberstufen werde man da nur vereinzelt einrichten können, erklärte Eisenmann Anfang des Jahres zum Verdruß der Gesamtschullobby. Nicht, daß Eisenmann grundsätzlich etwas gegen grün-linke Schulexperimente hätte. Als Stuttgarter Schulbürgermeisterin forcierte sie den Umbau sämtlicher Grundschulen zu verpflichtenden Ganztagsschulen und hätte gerne selbst noch mehr Gemeinschaftsschulen in der Landeshauptstadt gehabt.

Die CDU, die im Wahlkampf einen Ausbau-Stopp versprochen hatte, müsse endlich lernen, „mit der Gemeinschaftsschule zu leben“, hatte Eisenmann nach der Landtagswahl 2016 und noch vor ihrer Ernennung zur Kultusministerin gefordert. Die Abstimmung der Eltern mit den Füßen bedeutet indes noch lange keine schulpolitische Wende. Die Gemeinschaftsschule ist zudem auch nur einer der Angriffskeile, den Grün-Rot gegen das lange von der CDU verteidigte dreigliedrige Schulsystem im Südwesten gerichtet hatte. Als weitaus folgenschwerer erweist sich schon jetzt die Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung. Es gebe viel zu viele Schüler an den Gymnasien, die dort nicht hingehörten, klagen Gymnasiallehrer hinter vorgehaltener Hand. Niveauabsenkungen sind die Folge; die Gymnasien entwickeln sich zu faktischen Gesamtschulen, an denen in sogenannten „Hochbegabtenzügen“ ein Rest des ursprünglichen Gymnasialniveaus zu erhalten versucht wird. Den Absturz des baden-württembergischen Schulsystems wird die Gemeinschaftsschul-Krise kaum abbremsen.