© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/17 / 13. Oktober 2017

Es wird eng
Landtagswahl in Niedersachsen: CDU und SPD liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen / Für den Berliner Politikbetrieb bedeutet das Stillstand
Paul Leonhard

Als gebe es nichts Wichtigeres: Statt eine neue Bundesregierung zu formen, macht Bundeskanzlerin Angela Merkel erneut Wahlkampf. Diesmal in Niedersachsen, wo am 15. Oktober rund 6,1 Millionen Bürger aufgefordert sind, eine neue Landesregierung zu wählen und wo der sicher geglaubte Vorsprung der oppositionellen CDU vor der regierenden SPD laut jüngster Umfrage dramatisch von acht auf einen Prozentpunkt geschmolzen ist.

„Ich möchte, daß dieses Land besser regiert wird“, so Merkel auf einer Wahlkampfveranstaltung in Hildesheim, der ersten von fünf geplanten. Sie verwies auf Schleswig-Holstein. Dort sei mit dem CDU-Ministerpräsidenten Daniel Günther neuer Schwung in die Politik gekommen. „Warum soll nicht auch Niedersachsen was Schönes haben?“ fragte Merkel und meinte offenbar CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann. 

Innerparteiliche  Querelen bei der AfD

Der macht gerade keine gute Figur. Die Niedersachsen trauen nach aktuellen Umfragen dem amtierenden Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD) – egal ob es um Bürgernähe und Sympathie oder Führungsstärke und Kompetenz geht – einfach mehr zu. Dazu kommt Althusmanns biederer Wahlkampf. Nicht einmal beim Thema innere Sicherheit vermochte er richtig zu punkten, obwohl die Niedersachsen die CDU hier für besonders kompetent halten. Auch auf den Gebieten Arbeitsplätze und Bildung liegen die Christdemokraten vorn.

In der seit Wochen schwelenden Vergabeaffäre, die Wirtschaftsstaatssekretärin Daniela Behrens (SPD), Ministeriumssprecher Stefan Wittke und den Leiter der Berliner Landesvertretung, Michael Rüter, ihre Ämter gekostet und auch Sozialministerin Cornelia Rundt (SPD) in Erklärungsnot gebracht hat, scheint das Pendel inzwischen zurückzuschlagen.

Althusmann ist wegen einer angeblichen Gefälligkeitsexpertise in die Kritik geraten, die während seiner Zeit an der Spitze des Kultusministeriums (von Februar 2010 bis April 2013) in Auftrag gegeben wurde. Während der Ex-Minister beschwört, daß das Verfahren „korrekt“ gewesen sei, erkennt die rot-grüne Landesregierung „deutliche Mängel“ bei der Vergabe des Gutachtens. Was ursprünglich von der CDU als „Genossenfilz“ gebrandmarkt worden war, erscheint nun als allgemeiner Filz der jeweils Regierenden.

Vorsichtig prophezeit Althusmann für den Wahltag ein „enges Ergebnis“. Weil gibt sich dagegen demonstrativ optimistisch: Man werde die CDU noch überholen. Egal, ob letztlich die oppositionelle CDU (zur Zeit 35 Prozent) oder die regierenden Sozialdemokraten (34) die Nase vorn haben, die Regierungsbildung dürfte kompliziert werden. Haben die Wahlforscher recht, dann wird es für die Fortsetzung des rot-grünen Bündnisses keine Mehrheit geben.

Das Verhältnis zwischen CDU und SPD gilt als belastet. Für „extrem unwahrscheinlich“ hält Weil eine Große Koalition. Ein Jamaika-Bündnis aus CDU, FDP und Grünen ist wiederum für CDU-Generalsekretär Ulf Thiele „fast unmöglich“, weil „fast nur noch Fundis“ auf der Landesliste der Grünen stehen. FDP-Landeschef Stefan Birkner hat kein Interesse an einer Ampelkoalition mit SPD, FDP und Grünen: „Wir treten für einen Politikwechsel ein.“

Nicht vergessen ist auch der Übertritt der grünen Landtagsabgeordneten Elke Twesten zu den Christdemokraten, der Rot-Grün die Ein-Stimmen-Mehrheit im Landtag gekostet und vorgezogene Neuwahlen ausgelöst hat. Das wurde deutlich, als der grüne Agrarminister Christian Meyer auf dem Parteitag über „schwarz-gelbe Hetzer“ schimpfte.

Ungewiß ist, ob es die Linke schafft, die Fünfprozenthürde zu meistern. Auch die AfD muß kämpfen. Sie konnte zwar in Niedersachsen bei der Bundestagswahl 9,1 Prozent der Stimmen erzielen, schwankt aber gegenwärtig zwischen sechs und acht Prozent. Innerparteiliche Querelen wirken sich in Niedersachsen stärker aus, weil hier das Potential an Protestwählern geringer ist, CDU und SPD über große Stammwählerschichten verfügen. Der Ausschluß der AfD-Landtags-Spitzenkandidatin Dana Guth aus ihrer Fraktion im Göttinger Kreistag ist da geradezu kontraproduktiv, zudem sie als parteiinterne Kritikerin von AfD-Landeschef Paul Hampel gilt.

Das aktuelle Kopf-an-Kopf-Rennen in Niedersachsen hat Auswirkungen auf die Koalitionsverhandlungen in Berlin. Die politische Landschaft ist mit den neu ins Parlament eingezogenen Parteien unübersichtlicher geworden. Merkel ist optimistisch, daß es ihre Partei in Niedersachsen schafft, den Ministerpräsidenten zu stellen. Es wäre für die SPD nach den Wahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und im Bund die fünfte Niederlage in Folge. Die Sozialdemokraten dagegen hoffen, von Merkels Absage an alle Kurskorrekturen zu profitieren. Ein Wahlsieg würde auch der Bundespartei wieder Auftrieb geben.

Bei den letzten Landtagswahlen 2013 waren es gerade einmal 334 Stimmen mehr für die SPD, die für die durchaus erfolgreiche schwarz-gelbe Regierung von Ministerpräsident David McAllister das Aus bedeuteten. Und weil es so knapp ist, wurden Koalitionsverhandlungen und Parteitage auf Bundesebene ebenso verschoben wie die Aufarbeitung der schlechten Wahlergebnisse bei CDU und SPD. „Ich nehme nicht an, daß jetzt tiefere Koalitionsverhandlungen vor der Niedersachsen-Wahl erfolgen“, ließ sich der angeschlagene CSU-Chef Horst Seehofer zitieren.

Die Spitzenpolitiker in Berlin würden alles unterlassen, was „den Erfolgs­chancen ihrer jeweiligen Parteifreunde in Hannover schaden könnte“, hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung beobachtet und spottet: „Alle Räder in Berlin stehen still, weil Niedersachsens starker Arm es will.“