© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/17 / 13. Oktober 2017

Erbitterte Gegner
Katalonien: Erheblicher Gegenwind macht es Barcelona nicht einfacher, sich abzuspalten
Michael Ludwig

Erst vor kurzem noch wählte die Financial Times Barcelona als die Stadt aus, in der sich weltweit am besten leben lasse: die Lage, die Preise, die öffentliche Versorgung, das kulturelle Klima, die Atmosphäre, alles sei, so das Blatt, einfach top. Doch über Nacht drehte sich alles – die katalanische Metropole am Mittelmeer ist Schauplatz einer erbitterten innerspanischen Konfrontation, die nicht nur die Iberische Halbinsel, sondern ganz Europa in Mitleidenschaft ziehen kann. 

Ihr Ende ist noch immer nicht abzusehen. Derzeit bereiten international tätige Firmen, die ihren Geschäftssitz in der aufrührerischen Provinz haben, die sich vom spanischen Mutterland trennen will, ihren Exodus vor. Den Auftakt machten die beiden größten katalanischen Banken – La Caixa und Sabadell.

La Caixa verlegte ihren Geschäftssitz von Barcelona nach Valencia, was den Börsenkurs des Unternehmens sofort um 4,9 Prozent steigen ließ. Mit 32.400 Mitarbeitern und einer Bilanzsumme von 357 Milliarden Euro ist sie auf dem Finanzsektor ein nicht zu unterschätzender Machtfaktor. Sabadell, die künftig von Alicante ausgeführt wird, beschäftigt 26.384 Angestellte, die Bilanzsumme beläuft sich auf 217 Milliarden Euro, der Börsengewinn infolge des Umzugs wird mit 6,16 Prozent angegeben. 

Die Ankündigungen, Barcelona nicht mehr als Zentrale zu führen, schlugen wie eine Bombe ein. Plötzlich macht unter den katalanischen Unabhängigkeitsbefürwortern die bange Frage die Runde, wie die Wirtschaft den Aderlaß an unternehmerischer Potenz verkraften wird. „Es ist nicht die Schuld der Firmen, wenn eine unverantwortliche Politik Unsicherheit und Unruhe verbreitet“, erklärte Wirtschaftsminister Luis de Guindos in Madrid. 

Der neue Staat wäre nicht Mitglied der Europäischen Union, was die Konsequenz nach sich ziehen würde, daß der katalanische Export mit Zöllen belegt würde. Die Folge: eine Verteuerung der katalanischen Produkte und Dienstleistungen, sie wären womöglich nicht mehr konkurrenzfähig. Völlig ungeklärt wäre auch die Frage der Steuerpflicht. 

Straßenkampf beschädigt Ruf Barcelonas

In katalanischen Regierungskreisen gibt man sich angesichts der Absetzbewegungen großer Unternehmen nach außen hin gelassen. „Der Ortswechsel der Geschäftsführung beider Banken Caixa und Sabadell hat so gut wie keine wirtschaftlichen Auswirkungen. Die Arbeitsplätze bleiben in Katalonien erhalten, die Mehrwertsteuer und die Lohnsteuer fließen ebenfalls nicht ab. Das einzige, was sich ändern wird, ist, daß  wir die Unternehmenssteuer verlieren, das macht aber nicht viel aus“, erklärte Vizepräsident Orion Junqueras, der für die Wirtschaft zuständig ist. 

Auch an anderen Fronten geht es zur Sache. Barcelona, eine der schönsten Städte am Mittelmeer, hat die gerade bei Touristen beliebte südliche Leichtigkeit verloren. Stattdessen beherrschen Demonstranten und ein riesiges Polizeiaufgebot das Straßenbild. Die vorerst letzte Massenkundgebung fand am vergangenen Sonntag statt. Nach Angaben des Veranstalters, der Societat Civil Catalana, versammelten sich eine Million Gegner einer unabhängigen Republik Katalonien, um für den Verbleib in Spanien zu demonstrieren. Unter dem Motto „Es reicht! Wir wollen unsere Gemeinsamkeit zurück“ skandierten sie: „Wir sind Spanier und Katalanen.“

Unter dem Meer von spanischen und katalanischen Fahnen fanden sich auch Transparente mit dem Bild von König Felipe VI., der in einer vielbeachteten Fernsehrede an das spanische Volk dazu aufgerufen hat, zur Normalität und Gesetzestreue zurückzukehren. Die Regierung in Barcelona habe sich mit ihren Unabhängigkeitsbestrebungen nicht an die Rechtsordnung gehalten. Das sei ein „unverantwortliches Verhalten“, mit dem sie „die wirtschaftliche und soziale Stabilität“ Kataloniens und des ganzen Landes gefährde. 

Bei der zentralen Kundgebung richtete Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa, ein Peruaner, der einen großen Teil des Jahres in Madrid verbringt und mehrere Jahre in Barcelona gelebt hat, scharfe Angriffe auf die politische Führungsriege Kataloniens, vor allem auf Regierungschef Carles Puigdemont, seinen Stellvertreter Oriol Junqueras und Parlamentspräsidentin Carme Forcadell. Er bezeichnete sie als „Putschisten“, die das zerstörten, was in 500 Jahren aufgebaut worden sei. „Wir wollen nicht, daß die Banken und die Unternehmen Katalonien verlassen, als würde die Pest an die Pforten einer mittelalterlichen Stadt klopfen.“ Der sozialistische Politiker und Ex-Präsident des Europäischen Parlaments,  Josep Borrell, wandte sich direkt an Junqueras: „Das, was Sie verteidigen, ist das Gegenteil des europäischen Ideals, das Gesetz und Solidarität heißt.“

Am Rande der Veranstaltung kam es zu Solidaritätsbezeugungen für die Guardia Civil und die Policia Nacional, die während ihres teilweise überzogenen harten Vorgehens bei der Stimmabgabe anläßlich des verbotenen Referendums am 1. Oktober in die Kritik geraten waren. Viele Spanier aus anderen Landesteilen, die aufgrund von Arbeitssuche in den industriell starken Nordosten gezogen sind, sehen sie jedoch als Beschützer. Auf die katalanische Polizei, die Mossos, der sie Parteinahme für die „Independentistas“ vorwerfen, wollen sich viele nicht verlassen.

Die Frage ist, wie dieser gordische Knoten gelöst werden kann. Bei Redaktionsschluß dieser Ausgabe wurde in politischen Kreisen Barcelonas die Vermutung geäußert, daß Puigdemont eine Art „symbolische Unabhängigkeitserklärung“ abgibt, also keine wirkliche, sondern eine, die Dialogbereitschaft signalisiert. Sicher ist das jedoch nicht. Möglicherweise werden jene politischen Kräfte die Oberhand gewinnen, die den einmal beschrittenen Weg in Richtung Unabhängigkeit mit allen Konsequenzen bis zum bitteren Ende gehen wollen. Ministerpräsident Mariano Rajoy hat in einem Pressegespräch angekündigt, daß dies zu schwerwiegenden Folgen führen würde. Im Klartext bedeutet das: Madrid würde die Autonomie Kataloniens aufheben, die verantwortlichen Politiker aus ihren Ämtern jagen und sie vor Gericht stellen.