© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/17 / 13. Oktober 2017

Ruhmeshalle der Unsterblichen deutscher Zunge
Nationaldenkmal: Vor 175 Jahren wurde die Walhalla in der Nähe von Donaustauf im Landkreis Regensburg eröffnet
Felix Dirsch

Nationaldenkmäler bauen wir heute keine mehr. Dieser Satz behält auch nach der Wiedervereinigung seine Gültigkeit – jedenfalls, solange es sich um die Erinnerung an die guten Seiten der deutschen Geschichte handelt. Nach 1945 ersetzte die negative „Germanozentrik“ nach und nach die frühere positive. Das Geschichtsgedächtnis der Deutschen ist schwach, sofern es sich um erfreuliche Taten der Vorfahren handelt.

Als Kontrast zur heutigen Situation kann das 19. Jahrhundert dienen. Im Zuge des Aufschwungs des Nationalgedankens nach den Napoleonischen Kriegen entstanden so monumentale Bauwerke wie das Hermannsdenkmal und die Walhalla. Letztere spielt im Namen auf die gemäß der nordischen Mythologie verdiente Ruhestätte tapferer germanischer Kämpfer an, die von Göttervater Odin empfangen werden. Schon früh machte man einen Widerspruch zwischen der nationalpolitischen Ausrichtung und der dorischen Gestaltung der Walhalla aus, die dem Parthenon-Tempel auf der Athener Akropolis nachgebildet ist.

Der bayerische König Ludwig I. faßte früh den Plan zu einer Ruhmesstätte für die Unsterblichen der deutschen Geschichte. Er hatte das Glück, in Leo von Klenze einen Architekten zu finden, der das Konzept in glänzender Weise umsetzte. Als nahezu idealer Ort fand sich der Bräuberg mit seinen üppigen Grünanlagen. Ursprünglich in Augenschein genommene städtische Plätze wie die Theresienhöhe in München erwiesen sich für ein solches Unternehmen als nicht geeignet. Der Bauauftrag war weitschweifig formuliert: „Zum allgemeinen Augenmerke diene, daß nicht Zierlichkeit, sondern gediegene Größe die erste Bedingung ist: Am besten, wenn beide vereinigt werden können, besser noch, es zeige sich als würdige Nachahmung des Großen im Altertum, denn als minder schöne Selbsterfindung. Äußerlich groß verbinde es damit die innerliche, den Geist ausfüllende Größe. Die Masse muß durchdringenden Eindruck bewirken, bleibenden, dem Gegenstand angemessen.“

Der Innenraum gleicht einer christlichen Kirche 

Ludwig und von Klenze schufen ein einzigartiges ästhetisches Programm, das unter anderem die Kehlheimer Befreiungshalle und die Münchner Ruhmeshalle umfaßte. Das Ziel, einen Landschaftsgarten mit Blick in die Weite zu gestalten, stand außer Frage. Der Meisterkünstler griff den Philhellenismus auf, der in den 1830er Jahren, als das Bauwerk begonnen wurde, gerade im Königreich Bayern Konjunktur hatte. In der prächtigen Ausgestaltung des Gebäudes spiegelt sich ein auf Bildungsreisen erworbenes Wissen. Wohl mit Recht sprach man von einer „Einheit von Historismus und Tourismus“ (Jörg Traeger, „Der Weg nach Walhalla“).

Der klassizistische Prunk hat manche der zahllosen Besucher an ihrem Bild vom bodenständigen Bayern zweifeln lassen. Noch 1967 konstatierte Götz Freiherr von Pöllnitz das Fremdkörperhafte einer architektonischen Megalomanie. 33 Jahre später stellte Manfred Treml in seiner Studie „Geschichte des modernen Bayern“ zeitgeistkonform fest, die Walhalla sei schon bei ihrer Eröffnung von einem neuen Nationalismus überholt worden und überdies zu keinem Zeitpunkt volkstümlich gewesen.

Die Besucherströme und die zahlreichen Beschreibungen in der populären Literatur sprechen indessen eine andere Sprache. Der Historiker Hans-Michael Körner sieht, im Gegensatz zu Treml, den zeitgenössischen Germanenkult durch die philhellenistische Akzentuierung deutlich relativiert. 

Eine Vielzahl kunstgeschichtlicher Bücher wird von ikonographischen Deutungen etwa des Süd- und Nordgiebels, der Säulenumgänge oder der Decke des Hauptsaales gefüllt. Auffallend sind etliche Brüche in der Konzeption des Bauwerks. Von außen griechischer Tempel, gleicht doch der Innenraum des Hauptbaus eher einer christlichen Kirche. 

Umfangreicher waren die Kontroversen über die Auswahl der erlauchten Köpfe. Die Bildnisbüsten sind aus weißem Marmor gemeißelt. Freilich war dem Bauherrn klar, daß Persönlichkeiten nicht fehlen dürfen, deren Porträt unbekannt ist. Bei ihnen vermerkte man immerhin den Namen. Zur Eröffnung im Oktober 1842 waren es 96 Büsten und 64 Gedenktafeln. Als maßgebend für die Aufnahme galten stets die Leistungen, einen Zusammenhalt dabei stiftete die „teutsche Zunge“.

Von Anfang an bestimmte das Proporzdenken die Debatten: Ist die Balance zwischen Katholiken und Protestanten ausreichend berücksichtigt? Stimmt die Relation von verewigten Preußen und Bayern? Wie sieht es mit Großen jüdischen Glaubens aus? Nicht zuletzt unter diesem Gesichtspunkt wurde die Aufnahme des Bildnisses Albert Einsteins 1990 befürwortet. An seinen phänomenalen Leistungen zweifelte (trotz der Ambivalenzen der technischen Umsetzung der Relativitätstheorie) ohnehin niemand. Auch das weibliche Geschlecht sollte vertreten sein, wenngleich Parität hier zunächst als illusorisch angesehen wurde. Gegenwärtig umfaßt die seit 2016 von der Bayerischen Schlösserverwaltung betreute Sammlung 130 Büsten und 65 Gedenktafeln.

Eine Büste Martin Luthers fehlte bei der Eröffnung

Stellvertretend für die vielen Porträtierten seien Katharina II., Zarin von Rußland, König Friedrich II. von Preußen, Erasmus von Rotterdam, Carl Freiherr vom Stein, Friedrich Schiller und Turnvater Jahn angeführt. Goethes Büste gab der damalige Kronprinz noch zu Lebzeiten des Literaten in Auftrag; der künftige Genosse der Ruhmreichen lebte also im Zustand der Erwartung. Mancher der Erwählten ließ seine Fangemeinde in memoria zusammenkommen: So versammelte sich 1913 ein umfangreicheres Publikum, als Richard Wagner anläßlich seines hundertsten Geburtstages als Genius loci fungierte.

Natürlich geht der Verlust eines über einen langen Zeitraum gültigen heroischen Geschichtsbewußtseins an einer solchen Einrichtung nicht vorüber. Mancher der einst Umjubelten ist heute nicht mehr Objekt der Bewunderung. So findet sich etwa Turnvater Jahns Name auf etlichen schwarzen Listen. Es wird sich zeigen, ob der eine oder andere „Walhallerianer“ seine Haltbarkeitsdauer nicht schon überschritten hat und Säuberungsmaßnahmen zum Opfer fällt. Mancher „ewige“ Ruhm hat sich im nachhinein bekanntlich bloß als zeitlicher herausgestellt.

Im Vergleich zu den identitäts- und denkmalpolitischen Debatten in den USA (siehe die Unruhen von Charlottesville!) dürfen die Diskussionen um die Rezeption des früheren Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß in den Kreis der Würdigen, die Bayerns Finanzminister Markus Söder ins Gespräch gebracht hat, nur als laues Lüftchen gelten.

Martin Luther erhielt zuerst einmal keine Heimstatt, da er von konservativen Katholiken weniger als großer denn als spalterischer Deutscher empfunden wurde. Eine Büste des Reformators wurde erst fünf Jahre später, im Herbst 1847, in der Walhalla aufgestellt. Gut Ding will bekanntlich Weile haben. Auch in Zeiten, in denen die historische Erinnerung mehrheitlich über audiovisuelle Medien transponiert wird, ist der „Geist der Marmorgemeinde“ (Traeger) nicht erloschen. Kein Besucher wird ernsthaft leugnen, daß der im Volksmund gebräuchliche Ausdruck „Schädelstätte“ auf das Juwel oberhalb der Donau humorvoll zutrifft.

Kontakt: Walhallastraße 48, 93093 Donau-stauf, Telefon: 0 94 03 / 96 16 80

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