© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/17 / 13. Oktober 2017

Meisterin im Geldverprassen
Vor 100 Jahren erschossen Franzosen die deutsche Spionin Mata Hari / Legenden um ihre Rolle wuchern bis heute
Jürgen W. Schmidt

Am Morgen des 15. Oktober 1917 wurde nahe dem Schloß von Vincennes eine neutrale Staatsbürgerin, die Niederländerin Margaretha Zelle, als Spionin von französischen Soldaten erschossen. Damit war die als Tänzerin unter dem Namen „Mata Hari“ bekannt gewordene Zelle eine von ungefähr zwanzig Frauen, die während des Ersten Weltkriegs das Schicksal traf, wegen Spionage und Feindbegünstigung hingerichtet zu werden. 

Von allen diesen Frauen ist allerdings nur noch, dank der regen Entente-Propaganda, der Fall der englischen Krankenschwester Edith Cavell bekannt geworden, die fast auf den Tag genau zwei Jahre vor Mata Hari am 12. Oktober 1915 vor einem deutschen Erschießungspeloton endete. Die propagandistischen Auswirkungen dieses Todesurteils waren jedoch so verheerend, daß Kaiser Wilhelm II. im Januar 1916 anordnete, keine Frau mehr ohne seine persönliche Zustimmung hinzurichten. 

Daran hielt man sich in Deutschland bis Kriegende, während in Frankreich und auch in England etwa zwanzig Todesurteile gegen vermeintliche und echte deutsche Spioninnen während des Ersten Weltkriegs vollstreckt worden sind. Gerade im Fall der Nackttänzerin und vormaligen Luxuskurtisane Mata Hari entspann sich nach ihrer Hinrichtung ein heftiger Streit, ob sie eine echte deutsche Spionin oder nur ein Bauernopfer der Franzosen wegen der vielfältigen Niederlagen an der deutsch-französischen Front in den Jahren 1916/17 gewesen war. 

Aus Geldmangel diente sie sich den Deutschen an 

Dazu trug der Umstand bei, daß sich Mata Hari vor ihrer Festnahme in Frankreich bereits einmal in britischer Hand befunden hatte, man sie dort aber wieder laufen ließ. Ebenso trug zu den Mysterien um Mata Hari bei, daß ihre Prozeßakten bislang in Frankreich nicht offengelegt wurden. Die erste ernsthafte Untersuchung zum Fall Mata Hari lieferte in den sechziger Jahren der niederländische Historiker Sam Waagenaar, welcher in seiner Mata-Hari-Biographie nachwies, daß Mata Hari wohl Geheimdienstkontakte hatte, aber die ganze Angelegenheit mehr spielerisch als Möglichkeit betrachtete, zu Geld zu kommen, weil ihre Einnahmen als Lebedame wegen des Weltkriegs sehr nachließen. 

Als ein russischer Journalist namens Taratuta und der vormalige Pressesprecher des Geheimdienstes FSB General Zdanovitsch im Jahr 2000 in Moskau das Buch „Der geheimnisvolle Chef der Mata Hari“ veröffentlichten, dessen Grundlage der im FSB-Archiv befindliche Nachlaß des deutschen Geheimdienstchefs Walter Nicolai war, sah man im Fall Mata Hari endlich klarer. Demgemäß hatte sich Mata Hari Anfang 1916, vermutlich aus Geldmangel, einem deutschen Konsul in den Niederlanden zwecks Spionage angeboten. 

Der Konsul meldete das Angebot pflichtgemäß nach Deutschland, und nun kam der deutsche militärische Geheimdienst IIIb unter Walter Nicolai ins Spiel. Nicolai traf sich am 20. März 1916 mit der Möchtegern-Spionin in einem Kölner Hotel, wo Mata Hari sogleich den Versuch unternahm, Major Nicolai zu betören und zu verführen. 

Damit prallte sie beim glücklich verheirateten Familienmenschen Nicolai zwar ab, doch beeindruckte sie ihn immerhin mit der Behauptung, der vormalige französische Kriegsminister General Adolphe Messimy habe zum Kreis ihrer Liebhaber gehört. Er wies die Frankreich-Expertin von IIIb Elisabeth Schragmüller an, die Brauchbarkeit von Mata Hari als Agentin zu prüfen und sie gegebenenfalls als solche auszubilden. 

Die promovierte Akademikerin Schragmüller zeigte sich von der Luxuskokotte Mata Hari beeindruckt, denn vermutlich war sie nie vorher auf jene Art Mensch gestoßen. Gleichwohl gab es während der kurzen Ausbildungszeit von Mata Hari in Köln jede Menge Ärger mit ihr. So fing Mata mit einem ihr von früher her bekannten Oberkellner ihres Unterbringungshotels ein Verhältnis an. Zudem erkannte der Hoteldirektor in ihr einen Gast wieder, der vor Jahren unter Zurücklassung des Gepäcks und ohne zu zahlen verschwunden war, was beides einen schleunigen Hotelwechsel bedingte. 

Ausgestattet mit einem großzügigen Reisevorschuß von 30.000 Mark begab sich Mata Hari danach auf Spionageabenteuer. Doch ihre höchst selten in Deutschland eintreffenden Briefe enthielten nichts Wesentliches. Ihre brauchbarste Nachricht war gemäß den Erinnerungen von Schragmüller noch diejenige, daß der deutsche Agent AF 80, ein Belgier namens Maes, ein  französischer Doppelagent war. Doch weder mit den französischen Frontniederlagen des Jahres 1917 noch mit den erheblichen U-Boot-Erfolgen vom gleichen Jahr hatte Mata Hari etwas zu schaffen. 

Vielmehr tauchte sie Mitte 1917, finanziell abgebrannt, in Madrid beim deutschen Militärattaché Arnold Kalle auf, begann mit diesem eine Liaison, nachdem sie sich als deutsche Agentin offenbart hatte und forderte Geld. Die entsprechende Nachricht von Kalle wurde in Frankreich abgefangen und dechiffriert. Damit war das Ende von Mata Hari eingeläutet, welche man bei ihrem späteren Eintreffen in Frankreich verhaftete. Mata Hari war folglich eine zu Recht verurteilte Spionin. Man kann nur darüber rätseln, ob sie Frankreich oder Deutschland mehr schadete. Der deutsche Geheimdienst investierte nämlich in sie insgesamt 500.000 Euro nach heutiger Währung, ohne eine merkbare Gegenleistung zu erhalten.