© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/17 / 13. Oktober 2017

Alter Wein in alten Schläuchen
Im Westen nicht Neues: Der Linksintellektuelle Noam Chomsky stimmt einen erwartbaren Schwanengesang über die immer ungleicher werdende US-Gesellschaft an
Thorsten Brückner

Nur selten erfinden sich Autoren im Alter noch einmal völlig neu. Mit nunmehr bald 89 Jahren ist dies – erwartbar – auch dem amerikanischen Linksintellektuellen Noam Chomsky nicht gelungen. Sein neuestes, jetzt auf deutsch erschienenes Buch „Requiem für den amerikanischen Traum“ ist dennoch kein alter Wein in neuen Schläuchen. Es ist alter Wein in alten Schläuchen. Es ist das zornige Pamphlet eines Mannes, der zwar nicht mehr in den sechziger Jahren lebt, wohl aber die sechziger Jahre in ihm. Das „goldene Zeitalter“, wie er es in seinem Buch nennt.

In seinen „zehn Prinzipien der Konzentration von Reichtum und Macht“ findet sich nichts, was der Vorbeter der amerikanischen Progressiven nicht schon in den vergangenen fünf Jahrzehnten seinem Publikum kredenzt hätte: „Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer“, deswegen brauche es mehr Staat in Form einer allgemeinen gesetzlichen Krankenversicherung und kostenloser Bildung („Mit 100.000 Dollar Schulden nach dem Studienabschluß ist man nicht mehr frei“).

Auf dieser kostenlosen Bildung beruhte seiner Meinung nach der wirtschaftliche Erfolg der USA in den fünfziger und sechziger Jahren. Freilich unterscheidet sich Chomsky von anderen Progressiven wohltuend durch seine Verteidigung der Meinungsfreiheit. In diesem Zusammenhang geißelt er auch den häufig gegen Kritiker erhobenen Vorwurf, „antiamerikanisch“ zu sein. Diese Instrumentalisierung eines überhöhten Patriotismus ist für Chomsky ein „totalitäres Konzept“. Nicht zuletzt ist es auch ein Vorwurf, dem er sich schon häufiger ausgesetzt sah. Vor allem durch seinen Gegenspieler, den konservativen Publizisten David Horowitz, der ihn einst als „Ayatollah des antiamerikanischen Hasses“ bezeichnet hat.

Chomsky tritt für eine Meinungsfreiheit ohne Einschränkungen ein – in der Vergangenheit betonte er mehrfach, daß diese selbst für Holocaustleugner gelte. Eine Haltung, die dem Sohn jüdischer Einwanderer viel Kritik eingebracht hat. Und in noch einem weiteren Punkt könnten Konservative mit den Thesen Chomskys übereinstimmen. Seine Kritik an der Verlagerung von amerikanischen Fabriken ins Ausland liest sich wie eine Passage aus einer „Make America Great Again“-Rede des amtierenden US-Präsidenten Donald Trump über die „vergessenen Männer und Frauen im Rostgürtel“. Daraus auch nur die leiseste Unterstützung für US-Präsident Trump abzuleiten, wäre freilich verfehlt: Die republikanische Partei ist für Chomsky gar „die gefährlichste Organisation der Weltgeschichte“.

Was in dem Buch besonders betroffen macht, ist die intellektuelle Unterdurchschnittlichkeit der Argumente eines erwiesenermaßen hochintelligenten Akademikers. Viel erklärt Chomsky mit dem Begriff „Solidarität“, gerade so als ob eine politische Maßnahme dann keiner weiteren Begründung mehr bedarf, wenn sie diese Anforderung erfüllt. Denn Solidarität entsteht seiner Meinung nach aus Mitgefühl als „fundamentalem menschlichen Zug“. Ergo: Wer statt auf Chomskys überdehnten Solidaritätsbegriff seine Überzeugungen auf marktwirtschaftliche Vernunft gründet, läßt diesen „fundamentalen menschlichen Zug“ vermissen, besitzt also Defizite bei seiner Menschlichkeit.

Daß er die Idee der amerikanischen Gründerväter geißelt, durch ein System der „Checks and Balances“ eine „Diktatur der Mehrheit“ zu verhindern, kann da schon nicht mehr verwundern. Ginge es nach Chomsky, befände sich die amerikanische Gesellschaft in einem permanenten Klassenkampf. Sein Vorbild: die Politisierung der Gesellschaft in den sechziger Jahren. Seine Kritik an aktuellen Zuständen: Anders als damals müßten die Menschen so viel arbeiten, daß sie überhaupt keine Zeit mehr haben, sich über Politik Gedanken zu machen. Und natürlich kommt das Buch auch nicht ohne einen Schlenker zu den „rassistischen Wurzeln“ der amerikanischen Gesellschaft und zum angeblichen Versagen der Republikaner beim Klimaschutz aus („Das Todesurteil für unsere Nachkommen“). Das war erwartbar. Genau wie die gesamte Lektüre des Buches.

Noam Chomsky: Requiem für den amerikanischen Traum. Die 10 Prinzipien der Konzentration von Reichtum und Macht. Verlag Antje Kunstmann, München 2017, gebunden, 192 Seiten, 20 Euro