© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/17 / 13. Oktober 2017

In den Wind drehen
Neuer Patriotismus: Warum der Begriff „Heimat“ plötzlich auch wieder von links aufgegriffen wird
Matthias Matussek

Es ist doch großartig, zu erleben, wie eifrig, um nicht zu sagen tänzerisch flott sich die Polit-Rhetorik den wechselnden Gegebenheiten anzuschmiegen vermag. Die auf einen künftigen Ministerjob hoffende Grünen-Chefin Katrin Göring-Eckardt zum Beispiel. Vor nicht allzu langer Zeit hatte sie noch die „Geflüchteten“ und alle, die über die Grenze strömten, an ihr Herz gedrückt mit dem Jubel „Uns werden Menschen geschenkt“. Sie schien außer sich, ein bißchen so wie eine Kita-Leiterin, die sich über ihre paar Rangen mal wieder aufregen mußte und froh über neue Kundschaft ist: „Unser Land wird sich ändern, und zwar drastisch.“

Doch nun hat sich alles anders gedreht, gefühlsmäßig in die Gegenrichtung. Das Land, dessen Namen man in der grünen Kita nur zum Fluchen in den Mund nahm, hatte sich tatsächlich drastisch geändert mit all den geschenkten Menschen, und viele Wähler, so zeigte sich, mochten ihr Land doch eher so wie es vorher war, besonders die in Sachsen, und wählten deshalb die heimatverbundene AfD.

Da erschrak die im Geiste schon mitregierende Kita-Pädagogin und rief aus: „Wir lieben dieses Land, das ist unsere Heimat.“ Unsere Heimat? Die Grünen? Eine imponierende Drehung! Alles ist recht, um sich in die Mitte des Parketts zu walzern.

Natürlich geht so ein Schwung nicht ohne Tritte gegen die Rivalen auf der Tanzfläche ab, weshalb nun Göring-Eckardt dieses Land, diese Heimat ganz besonders deshalb liebt, um sie gegen die „rechten Spalter“ zu verteidigen. Sie bringt also eine Art linken Heimatschutz gegen den rechten in Stellung. „Wir dürfen die Heimat nicht den Rechten überlassen.“

Ach, was ist das nur für ein Eiertanz um unser Land und seine Deutschen! Es ist ein Volk, das für die gegenwärtige Kanzlerin schon fast abschiednehmend und untergangssüchtig nur noch aus denjenigen besteht, „die schon länger hier leben“, man könnte auch sagen lebten, denn es löst sich ja hoffentlich bald in irgendeiner Weltbürgersuppe auf, und da es sich zunehmend weigerte, ein „freundliches Gesicht zu machen“, war es, das hatte sie ja schon vor zwei Jahren angedroht, ohnehin nicht mehr ihr Volk.

Nun gibt es ja die verschiedenen Denkschulen, was unser Land und die Heimat angeht. Eine geht davon aus, daß es durch die zwölf dunklen Jahre auf ewig verstrahlt ist und die Identität von Verbrechern hat. Die andere, vertreten etwa durch die sogenannte Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz, meint, daß es über die Sprache hinaus überhaupt keine feststellbare deutsche Identität gäbe, noch nicht einmal eine schuldhafte. Ein paar Worte Deutsch reichen zur Identitätsbildung, fast so einfach wie der Übertritt zum Islam. Ansonsten: blank wie ein frisch gewischter Kantinentisch.

Beides gleichzeitig geht allerdings nicht. Ich würde vorschlagen, daß sich die linke Kita mal einigt, während wir übrigen Staatsbürger und Heimatfreunde folgendes wahrnehmen: nämlich, daß zu den eigentümlichsten Bewegungen der Globalisierung die immer mächtigeren lokalen Unterströmungen gehören. Da genügt ein Blick nach Katalonien in diesen Tagen. Je dichter die Welt zusammenrückt, desto weiter fällt sie auseinander. Je internationaler die Welt, desto nationaler das Gefühl.

Auf unserem Weg in die totale Weltbürger-Angleichung gibt es plötzlich lauter Strudel, Impulse des Sträubens und der Selbstvergewisserung. Und das Zauberwort heißt „Heimat“ oder „Nation“.

Hier aber tun sich für uns Deutsche Abgründe auf. Bundesverfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt führte einst aus, „die spezifische und über weite Strecken düstere Historie Deutschlands“ erlaube es schwerlich, „als zu Rettendes die Nation, das Nationale zu beschwören“. Wohlgemerkt, so etwas sagte eine Verfassungsrichterin, die überdies historisch so schwach auf der Brust ist, daß sie „die über weite Strecken düstere Historie“, etwa das „Reich“, nur mit dem „Dritten Reich“ identifizieren kann. Dabei ist das „Heilige Römische Reich deutscher Nation“ tausend Jahre älter als die NS-Barbarei.

Es hat große Kaiser und Künstler und Schurken gesehen, Zeiten der Blüte, Zeiten des Niedergangs, es hat im Dom zu Speyer genauso Gestalt gefunden wie in Gutenbergs Bibel und Mozarts Requiem. Haben die Rheinburgen nichts mit unserer Reichsgeschichte zu tun? Woran denkt die Dame, wenn sie die Stifterfiguren am Naumburger Dom betrachtet? An Hitler?

Soeben hat sogar der sonst wegen seines Universalismus auch bei Linken so beliebte Papst Franziskus betont, daß es ohne Heimatgefühl nicht gehe: „Ein Volk ohne Wurzeln ist ein krankes Volk. Ohne Wurzeln kann man nicht leben.“ Die so urban-ironischen Weltbewohner im Westen haben sich mit all ihren neurotischen Erdungsschwierigkeiten jedoch zunächst mal auf Ostkloppe verständigt. Da fragt im jüngsten Stern ein Redakteur den Philosophen Richard David Precht so: „Der Dualismus zwischen Gut und Böse ist ein uraltes philosophisches Thema. Ist die Sache womöglich erschreckend einfach? Hat das ziellos wabernde Böse auch in unserer Gesellschaft in der AfD einen Ort gefunden, wo es sich niedergelassen hat? Wo niedere Instinkte gebündelt und ausgelebt werden dürfen, wo man ungestraft hetzen, hassen und die Geschichte umschreiben darf?“ Und was antwortet unser Philosoph? „Da ist ein bißchen was dran.“

Ich würde einfach jetzt mal fragen: Kann es sein, daß die Sache noch viel einfacher ist? Hat das ziellos wabernde Blöde einen Ort gefunden, nämlich so ein nußgroßes vorurteilsvolles Illustrierten-Deppenhirn eines verwöhnten Hamburger Kugelschreiberträgers, der sich mit solchen Abschüssen anerkennendes Schulterklopfen in der Gesinnungskaserne erwirbt? Worauf ich als Philosoph antworten würde: Aber das ist doch gar keine Frage! Die einzig spannende Frage wäre, wann sich dieser Jüngling und mit ihm die Restmeute neu mit dem Wind dreht.