© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/17 / 13. Oktober 2017

Katalanische Frage wird zur europäischen
Am Scheideweg
Martin Schmidt

Carles Puigdemont, der Ministerpräsident der autonomen Region Katalonien, verschob am Dienstagabend die Unabhängigkeitserklärung seines Landes und stellte einen Dialog unter internationaler Vermittlung in Aussicht. Am grundsätzlichen Ziel der Eigenstaatlichkeit hielt er eindeutig fest.

Was schon nach dem Unabhängigkeitsreferendum vom 1. Oktober vielen Beobachtern dämmerte, wird nach dieser historischen Parlamentssitzung in Barcelona zur allgemeinen Erkenntnis: Es handelt sich bei der „katalanischen Frage“ mitnichten um einen Nebenschauplatz europäischer Politik, sondern um eine dem Umgang mit dem „Brexit“ vergleichbare Richtungsentscheidung. Letztlich geht es darum, ob dieser Kontinent seiner Geschichte und seinem ethno-kulturell vielfältigen Wesen entsprechend in einer Bündelung der nationalstaatlichen und regionalen Kräfte die Zukunft sucht oder in einem universalistisch gesinnten, zentralistisch organisierten Bundesstaat.

Ersteres würde das Selbstbestimmungsrecht der Völker und direktdemokratische Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger auf allen Ebenen beinhalten, während die zweite Variante auf eine sehr weitgehende Machtkonzentration in Brüssel und die größtmögliche Angleichung nicht nur der wirtschaftlichen, sondern auch der sozialen und kulturellen Lebensbedingungen in allen EU-Teilgebieten hinausliefe.