© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/17 / 13. Oktober 2017

Kanzlerposten im Visier
Nationalratswahl Österreich: Die Freiheitlichen rechnen sich gute Chancen aus, wenigstens Platz zwei zu belegen
Verena Rosenkranz

Seit zwölf Jahren ist Heinz-Christian Strache Chef der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ). Noch nie in diesem, für Politiker durchaus langen Zeitraum kam er dem Kanzlerposten näher als dieser Tage. Während er von den Medien zu Beginn seiner Übernahme einer zerbröckelten Partei noch höhnisch kommentiert und geschmäht wurde, rechnen kurz vor dem 15. Oktober nun alle Redaktionsstuben des Landes mit zumindest einer erneuten Regierungsbeteiligung der Blauen. 

Verändert hat sich aber nicht nur die Stimmung gegenüber dem Oppositionspolitiker, sondern auch er selbst. War er vor wenigen Jahren noch als aufgebrachter und lautstark dazwischenredender Diskussionspartner bekannt, wirkt er heute fast gesetzt. Immer öfter mit Brille, Stecktuch und seriösen Beiträgen will der 50jährige nun alle Positionen von Mitte bis Rechts abdecken, um seiner Partei zu mehr Mitsprache zu verhelfen. In dieser Position waren die Freiheitlichen das letzte Mal von 1999 bis 2002 gemeinsam mit der Österreichischen Volkspartei (ÖVP).

Plötzlich entdecken alle die Zuwanderung als Problem

Nach internen Zersplitterungen mußte sie allerdings den Koalitionsvertrag brechen und vorgezogenen Neuwahlen zustimmen. Der in Österreich als „Knittelfeld“ bekannte Parteitag brachte das Dritte Lager dabei gehörig ins Wanken. Die Partei verlor zwei Drittel ihrer Wähler und sank von ihrem bislang besten Ergebnis (rund 27 Prozent) auf zehn Prozent ab. Nur wenig später wurde dann auch die Spaltung der Partei bekannt, und ein Großteil der Funktionäre folgte dem charismatischen Jörg Haider zum neuen Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ), der damit die FPÖ führungslos zurückließ. Ehemalige Parteigrößen wie Ewald Stadler, Barbara Rosenkranz, Karl Schnell und Andreas Mölzer verhinderten damals das Sterben der eigenen Partei und verhalfen dem gelernten Zahntechniker „HC“-Strache zu einer Übernahme der Bundespartei.

 Die Kriterien waren nach dem ersten Erfolg des nunmehrigen Konkurrenten Haider klar: Eine junge, optisch möglichst ähnliche Polithoffnung mit einem provokanten Mundwerk muß her. Der Coup gelang, und die Freiheitlichen verzeichneten unter Strache wieder einen Aufschwung, während jene Personen, die ihn auf die heutige Position hievten, nach und nach aus der Parteispitze – freiwillig und unfreiwillig – entfernt wurden.

Das einst scharfe Mundwerk und provokante Werbesujets wie „Daham statt Islam“ oder „Ißt du Schwein, darfst du rein“ wichen einer staatsmännischen Optik und dem breit ausgelegten Wahlkampfmotto „Fairneß“ für die vorgezogene Nationalratswahl im Oktober 2017. Der rot-schwarze Ballast der vergangenen Jahre dürfe nicht vom „kleinen Mann“, wie es Strache nennt, mitgeschleppt werden. Sei es nun die versprochene, aber nie eingetretene Steuerreform oder eine erhöhte Gefahr durch unkontrollierte Zuwanderung: „Nicht jeder Muslim ist ein Terrorist, aber fast jeder Terrorist in Europa in den letzten Jahren war ein radikaler Islamist“, rechnet der Parteichef in den Medien mit der aktuellen Regierung ab.

Damit fischt Strache allerdings nicht alleine nach Wählern, die von der rot-schwarzen Langzeitregierung enttäuscht sind. Konkurrenz bekommt er dabei vor allem von der „Liste Sebastian Kurz“ (JF 41/17), dem Politquerulanten und einstigen Grünen Peter Pilz sowie dem ehemals freiheitlichen Urgestein Barbara Rosenkranz, die nun für die Freie Liste Österreich antritt.

  Umfragen lassen ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den Kanzlerposten zwischen Kurz und Strache erwarten. Ihnen zufolge können die Freiheitlichen das Spitzenergebnis von 1999 (26,9 Prozent) wiederholen. Sie prophezeien ihm zwischen 24 und 28 Prozent der Wählerstimmen. 

Im Internet, wohin sich der Wahlkampf von den meisten Parteien bereits verlagert hat, ist Strache aber jetzt schon Spitzenreiter. Mit rund 740.000 „Gefällt mir“-Angaben auf seiner Fanseite ist er den meisten Mitbewerbern haushoch überlegen. Werbebotschaften, Bilder aus seinem Privatleben oder Kritik an der politischen Konkurrenz erreichen binnen kürzester Zeit ein enormes Publikum. 

Grünen-Veteran Pilz könnte FPÖ Stimmen kosten

Eine Aufholjagd hat Sebastian Kurz aber nicht nur im realen Leben, sondern auch im digitalen Bereich gestartet. Mit 710.000 „Followern“ – teilweise sogar die gleichen wie jene von Strache – macht er dem Kanzleranwärter Druck. Dies macht sich auch im Wahlprogramm bemerkbar: Themengleichheit gibt es mit der neuen ÖVP vor allem in Sachen Zuwanderung. 

Beide Parteien sprechen sich für einen Grenzschutz und strengere Reglementierungen in Sachen Migration aus. Bei der „Liste Kurz“ war das allerdings nicht immer so. Vor wenigen Monaten pochte der Spitzenkandidat noch darauf, daß der Islam ein Teil von Österreich sei. Obwohl er damit zwar laut Verfassung richtigliegt, gewann sein blauer Konkurrent durch eine vehemente Absage an den radikalen Islam in Österreich wieder Aufwind. 

Anpassungen gab es hingegen bereits im Wirtschaftsbereich, wo beide Parteien ausgerechnet im angeschlagenen Gesundheitssystem ein weiteres Einsparungspotential sehen. „Eine neoliberale Vorleistung für Schwarz-Blau“, heißt es indes von der Freien Liste Österreich. Auf dem Weg zur Regierungsbeteiligung habe die FPÖ Rosenkranz zufolge wesentliche freiheitliche Positionen aufgegeben. Weil ihre einstige Partei vor allem den Punkt „Volksabstimmung für den weiteren Verbleib Österreichs in der EU“ nicht mehr aufgreife, kandidiere sie nun für eine neue politische Bewegung. Die Freie Liste könnte Strache vor allem die EU-Skeptiker abspenstig machen und mit der Forderung nach direkter Demokratie punkten. 

Doch auch der langjährige Grüne Peter Pilz gründete seine eigene Liste und könnte als ursprünglich linker Politiker nun ausgerechnet das Dritte Lager Stimmen kosten. Mehr Transparenz und Aufklärung in puncto  Staatsgeschäften wie etwa der Eurofighter-Affäre hat Pilz sich auf die Fahnen geschrieben. Durch die Forderung nach mehr Mitspracherecht des Volkes will auch er den Einzug ins Parlament schaffen.

Eine Hürde, über die sich die FPÖ derzeit keine Sorgen machen muß. Vielen neuen Gesichtern wie der Anwältin Susanne Fürst, aber auch dem Aushängeschild und Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer ist der Einzug in den Nationalrat nach dem 15. Oktober sicher.