© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/17 / 13. Oktober 2017

Mehr als kleine Sünden
Steuerzahler-Schwarzbuch: Um die Megathemen wird ein großer Bogen gemacht
Christian Schreiber

Wieviel kostet das freundliche Gesicht von 2015/16 Bund, Länder und Gemeinden? 30 Milliarden Euro pro eine Million Flüchtlinge, wie Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) schätzt? Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) rechnet mit 50 Milliarden, das Kieler Institut für Wirtschaftsforschung mit 55 Milliarden Euro jährlich, wenn dabei zusätzliche Kindergarten- und Schulplätze oder die Polizeiaufstockung eingerechnet werden.

Auch die Milliardenverpflichtungen aus der Euro- und Finanzkrise oder die 29,3 Milliarden für die EU sind kein Aufreger für das 45. „Schwarzbuch der öffentlichen Verschwendung“ vom Bund der Steuerzahler (BdSt), denn dessen Chef Reiner Holznagel weiß als früherer Referent für Öffentlichkeitsarbeit bei der CDU Mecklenburg-Vorpommerns und Sohn einer Ex-Vizepräsidentin des Landtages, was politisch opportun ist. Dennoch ist die exemplarische Auflistung absurder Steuerverschwendung auch in diesem Jahr Pflichtlektüre.

Ein Mülleimer für 10.500 Euro, eine Grünpflege für 250.000 Euro, 47 Millionen Euro für Bundestagsbüros – auch im Kleinen ist sichtbar, wie unverfroren Politiker aller Regierungsparteien mit den 705,8 Milliarden Euro Steuern und den 5,1 Milliarden Euro Zolleinnahmen umgingen, die der Fiskus 2016 einnahm. In Leuna bei Leipzig verschätzte man sich bei der Schwimmhallensanierung gewaltig: Statt geplanter 7,6 Millionen belaufen sich die Kosten inzwischen auf mindestens 19,4 Millionen Euro.

Um den Bau des Jade-Weser-Ports in Wilhelmshaven nicht zu verzögern, überwies Niedersachsen 17 Millionen an einen Energiekonzern. Die Landesregierung meinte, für die Sicherstellung der Kühlwasserzufuhr im nahe gelegenen Kraftwerk gezahlt zu haben, doch dafür wurde das Geld nie verwandt. Da die Wasserentnahmeanlage von dem Konzern nie gebaut wurde, forderte das Land das Geld nebst Zinsen zurück. Doch dummerweise wies das Landgericht Hannover die Rückzahlungsklage ab.

Rheinisch-fröhlich geht es in Köln zur Sache

Die Erweiterung der Bundestagsgebäude wird wegen eines Schadens an der Bodenplatte des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses teurer als geplant. Und die Fertigstellung verzögert sich bis weit in die 19. Legislaturperiode. Da dem Bau alte Gebäude im Weg standen, konnte 2003 nur ein Teil des Architektenentwurfs realisiert werden. Erst seit 2010 konnte richtig losgelegt werden. Aktuell bewegt sich auf der Baustelle jedoch nichts: Ein Beweissicherungsverfahren soll feststellen, wer für den Pfusch am Bau verantwortlich ist. Ende offen.

Rheinisch-fröhlich ging es in Köln zur Sache, als die Stadtverwaltung glaubte, den „Rolls-Royce unter den Abfalleimern“ gefunden zu haben: Der „Solar-Preßhai“ ist preisgekrönt, eine LED zeigt den Füllstand an, der Photovoltaik-Deckel spendet Strom für das integrierte Preßmodul. Weil so mehr Abfall hineinpaßt, muß seltener geleert werden, dachte sich die hyperkorrekte Karnevalshochburg – und beschaffte elf Stück zum Preis von je 8.000 Euro. Die Rechnung ging nicht auf. Inzwischen rechnen die Abfallbetriebe für jedes Gerät mit Mehrkosten von 2.000 Euro pro Jahr. Daß dies aber 500 Euro weniger ist, als ein jeder „Schutzsuchende“ (laut Gerd-Müller-Kalkulation) im Schnitt pro Monat kostet, verschweigt der BdSt.

Kostspielig ist die geplante Verlagerung des bayerischen Gesundheitsministeriums. Bis Jahresende sollen am neuen Dienstsitz Nürnberg 30 Mitarbeiter arbeiten. Allein für den Mietvertrag und die Erstausrüstung sind 7,5 Millionen Euro vorgesehen. „Hier fragen wir uns, ob das Kosten-Nutzen-Verhältnis noch im Rahmen ist“, meint der BdSt. Allerdings dürften die Münchner Beamten einiges bei ihren privaten Wohnkosten einsparen. Im neuen Kapitel mit Fehlschlägen der digitalen Verwaltung wird die elektronische Gesundheitskarte aufgeführt, die elf Jahre nach ihrer Einführung sowie voraussichtlichen 2,2 Milliarden Euro Kosten für Praxen, Kliniken und Krankenkassen immer noch nicht richtig genutzt werden könne.

Die BdSt-Forderung zur Verschlankung der Parlamente ist bei 709 Bundestagsabgeordneten verständlich. Die Fraktionen hätten „es aus parteitaktischen Egoismen die vergangenen vier Jahre bewußt vermieden, das Wahlrecht zukunftsweisend zu reformieren“, klagt der BdSt. Vielleicht träumt Holznagel vom Mehrheitswahlrecht: Da hätten sich die 185 direkt gewählten Parteifreunde nur mit 59 Sozialdemokraten, 46 CSUlern, fünf Linken, zwei Alternativen, einer Grünen und Frauke Petry auseinanderzusetzen.


„Das Schwarzbuch – Die öffentliche Verschwendung 2017/18“: www.schwarzbuch.de