© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/17 / 13. Oktober 2017

Der Flaneur
Die letzte Runde
Paul Leonhard

Der Biergarten am Fluß ist schon in Sicht, als mein Handy klingelt. „Beeil dich, die wollen heute zeitig dichtmachen“, sagt der Anrufer. Ich bitte ihn, schon mal ein Bier zu ordern und lege einen Schritt zu.

Der Stammtisch ist gut gefüllt. Manfred schiebt mir ein golden glänzendes Glas rüber. Die Küche habe schon geschlossen, sagt er. Na, dann Prost. Die anderen heben die Gläser. Es klirrt. Am Nachbartisch wird abkassiert. Die schnippische Schwarze bedient. Der Stammtisch nickt bedeutungsvoll. Einer tippt mit dem Zeigefinger erst auf seine Uhr, dann zweimal an seine Schläfe: „Weiberwirtschaft.“ Als Jakob hier noch der Chef war, war das anders. Da wurde erst zugesperrt, wenn der letzte Gast eingesehen hatte, daß er nichts mehr verträgt. Notfalls wurde der auf die Couch gepackt. Dafür durfte er am nächsten Morgen beim Reinemachen helfen.

Die Frauen bestellen, wir grinsen. Wenn noch gekocht wird, gibt es auch noch Bier.

Als die Kellnerin versehentlich zu uns schaut, hält Manfred sein leeres Bierglas hoch. Wir anderen folgen seinem Beispiel. Minuten später knallt die Schwarze die vollen Gläser auf die Platte: „Das war die letzte Runde.“ 

Inzwischen sind vier junge Frauen eingetroffen und haben sich in einem von der Bedienung unbeachteten Moment an einen freien Tisch gesetzt. Gut gelaunte Touristinnen mit hochgesteckten blonden Haaren. Sie strahlen derart viel Frohsinn aus, daß die Kellnerin plötzlich, statt mitzuteilen, daß die Küche zu hat, mit der Speisekarte vor ihnen steht. Sie scheint darüber selbst verblüfft. Wir blicken hoffnungsvoll.

Manfred rutscht unruhig auf seinem Stuhl hin und her, steht dann auf. Er wird doch nicht? Doch er geht zum Nachbartisch. Beugt sich zu den Frauen hinunter und gibt sich fachkundig. Dann kommt er freudestrahlend zurück. Die Frauen bestellen, die Stammtischrunde grinst. Wenn noch gekocht wird, gibt es auch noch Bier. Ist doch logisch. Jetzt mault die Kellnerin, nimmt aber die Bestellung auf. Kurz darauf prosten wir den Frauen zu.