© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/17 / 13. Oktober 2017

Frisch gepresst

Celan. Ingeborg Bachmann, Tochter eines beim „Anschluß“ 1938 in die NSDAP eingetretenen Kärntner Lehrers, begann rasch nach 1945 damit, den Wurzeln der Schuld ihres Vaters nachzuspüren. Im heimatlichen Klagenfurt, wo die Abiturientin mit einem britischen Besatzungsoffizier anbandelte, dann in Wien als Partnerin und Protegé des Remigranten und kulturpolitischen Strippenziehers Hans Weigel, schließlich als Geliebte des seit 1948 in Paris lebenden Lyrikers Paul Celan, waren wohl nicht ohne Zufall diese Männer jüdischer Abstammung ihre Stützen. Der in der deutsch-jüdischen Kultur von Czernowitz sozialisierte Holocaustüberlebende Celan („Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“) und Bachmann gelten dabei, weit vor dem knotigen Psychologenduo Margarete und Alexander Mitscherlich („Die Unfähigkeit zu trauern“), als das unerreicht fesche Traumpaar der bundesrepublikanischen „Betroffenheitsmischpoke“ (Eckhard Henscheid). Der Literaturkritiker Helmut Böttiger (Frankfurter Rundschau, Süddeutsche Zeitung, Zeit) begeistert sich – beinahe monothematisch – seit Jahrzehnten für deren zu Lyrik und Prosa geronnenen Bewältigungskanon, dessen Präsentation, etwa durch Celans theatralischen Vortrag bei einem frühen Treffen der Gruppe 47, noch verblüffend unbefangene Heiterkeit erregte. Mit einer hochprozentigen Mixtur peinlichster Passagen quält Böttiger, der im Nebensatz Ernst Jünger flott als einen der „radikalsten Wegbereiter des Nationalsozialismus“ abfertigt, seine Leser nun abermals in einer zitatenfrohen Doppelbiographie der „großen Moralistin“ und des raunenden Rilke-Epigonen. (dg)

Helmut Böttiger: Wir sagen uns Dunkles. Die Liebesgeschichte zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Deutsche Verlagsanstalt, München 2017, gebunden, 269 Seiten, Abbildungen, 22 Euro





Dämon Demokratie. Der lange Zeit Philosophie an der Jagellonen-Universität in Krakau lehrende Ryszard Legutko sitzt seit 2009 als Abgeordneter im EU-Parlament und ist dort Mitglied des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten. Aus nächster Nähe konnte er daher beobachten, wie ein abgeschottetetes Machtkartell banausischer „Bürokraten und Apparatschiks“, die im Gegensatz zur Gründergeneration der fünfziger Jahre überhaupt nichts mehr mit der abendländisch-europäischen Kultur verbinde, die EU zum „antidemokratischen, hyperliberalen System“ umforme, das dem einstigen Sowjetreich der „Volksdemokratien“ wie ein Ei dem anderen gleiche. Was nicht erstaunlich sei, denn Kommunismus und liberale Demokratie nach EU-Muster eine der Haß auf die gleichen Feinde: „Kirche und Religion, Nation, die klassische Metaphysik, moralischen Konservatismus und Familie.“ Beide Lager sehnen sich so sehr nach einer „neuen Welt“, daß sie nicht zögern, zu ihrer Durchsetzung „die Totalität des Lebens zu kontrollieren“. Beide errangen auch „spektakuläre Siege“ unter Intellektuellen und Künstlern, obwohl man vermuten sollte, „daß gerade diese Menschen die ersten sein würden, einen solchen Primitivismus zurückzuweisen“. Was solche „Siege“ ermöglicht, leitet Legutko, wandelnd auf den Spuren des polnisch-jüdischen Politikwissenschaftlers Jakov L. Talmon und dessen Meisterwerk „Die Ursprünge der totalitären Demokratie“ (1961), aus dem pluralismus- und freiheitsfeindlichen Potential des „demokratischen“ Egalitarismus ab. Dem Verlag gebührt Dank, daß er diesen schon 2012 auf polnisch veröffentlichten wichtigen Großessay nun in die einstige Lingua franca Mitteleuropas übersetzen ließ. (wm)

Ryszard Legutko: Der Dämon der Demokratie. Totalitäre Strömungen in liberalen Gesellschaften. Karolinger Verlag, Wien 2017, gebunden, 188 Seiten, 23 Euro