© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/17 / 20. Oktober 2017

Polizisten schreien um Hilfe
Innere Sicherheit: Defizite in der Strafverfolgung weisen auf ein umfassendes Staatsversagen hin
Michael Paulwitz

Wenn ein prominenter Polizeibeamter so lakonisch wie drastisch die weiße Fahne hißt, müssen alle Alarmglocken schrillen: „Wir sind am Ende.“ Die Situation lasse „nicht mehr zu, die Kriminalität richtig zu bekämpfen“, erklärt Jan Reinecke, Hamburger Landeschef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), über die Medien.

Überraschend daran ist nicht die Feststellung selbst, sondern die Gleichgültigkeit, mit der auch dieser Alarmruf in Öffentlichkeit und Medien-Hauptstrom verhallt und verebbt. Denn es ist keine spezifisch Hamburger Krise, die Reinecke zur Sprache bringt, auch wenn die Lage in einzelnen Regionen noch weniger dramatisch erscheinen mag. Es reicht bei weitem nicht, ein paar mehr Polizei-Planstellen zu schaffen, um das Problem in den Griff zu bekommen, auch wenn Polizeigewerkschafter und Interessenvertreter wie der BDK-Landeschef letztlich darauf abzielen. Denn die anhaltende Polizeikrise ist nur ein Teilaspekt eines sich abzeichnenden umfassenden Staatsversagens – ein Aspekt allerdings, den die Bürger besonders intensiv und schmerzhaft zu spüren bekommen.

Der Kriminalbeamte verlangt von der Politik „klare Ansagen“, welche Bereiche die Polizei vernachlässigen solle, wenn es immer neue Prioritäten gebe. In diesem resignativen Appell steckt bereits eine Bankrotterklärung: Willkürliche politische Vorgaben bewirken, daß der Staat, der für sich ein „Gewaltmonopol“ in Anspruch nimmt, seine Kernaufgabe nicht mehr erfüllen kann – die Gewährleistung von Sicherheit und Eigentum aller Bürger, ohne Ansehen von Herkunft und Status.

Die linksextremen G20-Krawalle waren ein Offenbarungseid nicht nur für Hamburg, sondern für den gesamten deutschen Staat. Wenn die konzentrierten Polizeikräfte der Republik nicht in der Lage sind, geplante Randale mit wochenlanger Ansage zu unterbinden, liegt offenkundig mehr im argen als fehlende Planstellen. Militante Linksextremisten sind zudem nicht die einzigen, die Polizei und Rechtsstaat dreist herausfordern: Einbrecherbanden und Islam-Terroristen, Araber-Clans und ethnisch organisierte Kriminalität, importierte Sextäter, Schläger und Räuber, Auto-Raser und untergetauchte Illegale beanspruchen Justiz und Polizei in Bund und Ländern längst jenseits der Belastungsgrenze.

Den Verantwortlichen fällt darauf in der Regel nur Symbolpolitik ein. Zusätzliche Polizeistellen sind wohlfeil gefordert und rasch in Wahlprogramme geschrieben. Woher aber die Bewerber nehmen, wenn der Dienst unattraktiv und ausbeuterisch, die Bezahlung mies und die politische Rückendeckung Sonntagsgeschwätz ist? Für Streifenpolizisten ist es inzwischen Normalität, nicht nur bespuckt und beleidigt zu werden, sondern selbst bei Routinemaßnahmen wie Verkehrskontrollen mit Waffen aller Art angegriffen oder von einem Migranten-Mob umzingelt zu werden. Greifen sie selbst härter durch, riskieren sie, zum Buhmann und „Rassisten“ gestempelt zu werden.

Während Politiker und ihre medialen Claqueure sich mit Statistiken brüsten, die stagnierende oder gar rückläufige Kriminalitätszahlen beweisen sollen, berichten Kriminalbeamte, daß in vielen Deliktbereichen die Ermittlungsakten nur noch auf der Fensterbank oder unter dem Schreibtisch gestapelt werden, weil Zeit und Leute fehlen, die Fälle zu bearbeiten. Das betrifft nicht nur Betrugs- und Eigentumsdelikte, wie der Hamburger BDK-Chef Reinecke in seinem Alarmruf aufzählt: Auch bei der Verfolgung von Organisierter Kriminalität, Kapitalverbrechen und Sexualdelikten fühlen sich die Beamten schon lange überfordert.

Sogar ihre Ermittlungserfolge verwandelt das Wirken einer nachsichtigen und einäugigen Justiz und einer handlungsunfähigen und -unwilligen Exekutive oft genug in Niederlagen. Da halten drei beherzte Männer in einem verschlafenen Provinzstädtchen auf der Schwäbischen Alb einen somalischen Vergewaltiger fest und erfahren von den herbeigerufenen Polizeibeamten, das sei ein schon oft verhafteter alter Bekannter. Und im Berliner Tiergarten wird wieder einmal eine Frau wegen ihres Telefons und ein paar Geldscheinen ermordet – von einem tschetschenischen „Asylbewerber“, der von Rechts wegen schon längst hätte abgeschoben werden müssen.

Sich häufende „Einzelfälle“ wie diese signalisieren rechtstreuen Bürgern, daß der zynische CDU-Slogan vom „Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“ gerade für sie nur noch bedingt oder eben gar nicht gilt. Besonders wenn ein dysfunktional gewordener Staat sein Versagen in existentiellen Fragen mit Überreaktionen und fanatischer Regulierungswut in marginalen Angelegenheiten kompensiert. Wer falsch parkt oder sich über bürokratische Schikanen im Alltagsleben hinwegsetzt, seine Steuern zu spät bezahlt, die Zwangsabgabe für das Regierungsfernsehen verweigert oder ein falsches Wort im Internet riskiert, kann damit rechnen, daß der Staat seine Forderungen mit Bußgeldern oder gar Gefängnisstrafen durch alle Instanzen exekutiert. Vorausgesetzt, er gehört zum rechtstreuen, hart arbeitenden, steuerzahlenden und ordnungsgemäß gemeldeten Teil der Bevölkerung. Wer dagegen das Gemeinwesen und seine Regeln offen mißachtet und ausnutzt, genießt oft genug Narrenfreiheit, die ihn zu weiteren Übergriffen ermuntert.

Ein Staat, der seinen Bürgern mehr als die Hälfte ihres Einkommens für Steuern und Abgaben abpreßt und an Lobbygruppen und Landfremde verteilt, statt seine Grenzen zu verteidigen und Leben, Sicherheit und Eigentum der Bürger zu schützen, verspielt seine Legitimität. Die Betrogenen werden sich über kurz oder lang zu wehren wissen: Sie werden sich diesem Staat entziehen, zum Selbstschutz greifen und ihre willkürlich verfügte Entwaffnung unterlaufen, wenn dieser seinen Bürgern die Erfüllung seiner Kernaufgaben verweigert. Von der Polizeikrise über das Staatsversagen zu Anarchie und Faustrecht ist es nur ein kurzer Weg.