© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/17 / 20. Oktober 2017

Keine Observation am Wochenende
Terrorismus: Der Abschlußbericht des Sonderermittlers zum Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt fördert erschreckende Behördenfehler zutage
Peter Möller

Der Terrorismusexperte Peter Neumann kann es nicht fassen: „Tip für Terroristen. Anschläge bitte nur am Wochenende planen. Da beobachtet euch in Berlin nämlich keiner!“ twitterte der international renommierte Forscher des Londoner King’s College Ende vergangener Woche. 

Anlaß war die Veröffentlichung des Abschlußberichtes zur Rolle der Berliner Behörden im Fall des Anschlages auf den Weihnachtsmarkt an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche im Dezember vergangenen Jahres durch den Tunesier Anis Amri. Der 72 Seiten umfassende Bericht des ehemaligen Bundesanwalts Bruno Jost, der in der vergangenen Woche vorgestellt wurde, listet zahlreiche Fehler und Versäumnisse der unterschiedlichsten Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern auf. 

 Das bittere Fazit von Jost: Hätten Polizei und Staatsanwaltschaft ihre Arbeit fehlerfrei gemacht, dann hätte Amri im Sommer oder Herbst 2016 mit „hoher Wahrscheinlichkeit“ verhaftet werden können. So aber konnte der Tunesier, der 2015 als Flüchtling nach Deutschland gekommen war, am 19. Dezember vergangenen Jahres einen Lastwagen in den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz steuern und dabei zwölf Menschen töten und fast 100 weitere verletzen. Danach gelang ihm die Flucht. Erst vier Tage später wurde Amri in Italien bei einer Personenkontrolle erschossen. 

„Brauchen endlich zentrale Zuständigkeit des Bundes“

Ein besonders schlechtes Zeugnis stellt der Bericht dem Berliner Landeskriminalamt (LKA) aus, das laut Jost völlig überfordert und überlastet gewesen sei. Das macht er an einem irrwitzigen Beispiel deutlich: Obwohl das LKA Amri zwischenzeitlich für brandgefährlich hielt und als vordringlichsten Fall einschätzte, wurde der Islamist nicht lückenlos überwacht. „Alle Observationen beschränken sich auf die Wochentage Montag bis Freitag, und zwar auch in den Wochen, in denen Amri auf Rang 1 der Berliner Gefährder steht. An Wochenenden und Feiertagen finden keine Observationen statt“, faßt Jost seine Recherchen zusammen und läßt damit nicht nur den Terrorexperten Neumann fassungslos zurück. 

Denn Amri fiel den Ermittlern nicht allein durch seine religiöse Radikalisierung auf, sondern auch durch zahlreiche Drogendelikte. Die Verstrickung des Tunesiers in den Rauschgifthandel hätte nach Ansicht von Jost die Möglichkeit geliefert, Amri aus dem Verkehr zu ziehen. Doch die fehlende Abstimmung zwischen Berliner Polizei und Staatsanwaltschaft sorgte dafür, daß aus dem Kriminellen ein Massenmörder werden konnte.

Als eine Konsequenz aus den Fehlern im Fall Amri hat die Deutsche Polizeigewerkschaft gefordert, dem Bundes-kriminalamt (BKA) künftig zentral die Zuständigkeit für alle islamistischen Gefährder zu übertragen. „Wir brauchen endlich eine zentrale Zuständigkeit, wenn es um terroristische Bedrohungen geht. Sobald jemand als Gefährder eingestuft wird, sollte das BKA als bundesweit agierende Ermittlungsbehörde die Federführung übernehmen“, sagte Gewerkschaftschef Rainer Wendt der Welt am Sonntag.