© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/17 / 20. Oktober 2017

„Was bleibt, ist das Prinzip Hoffnung“
Altersvorsorge: Ein Erdbeben in der Lebensversicherung gefährdet den Lebensabend von Millionen Deutschen
Peter Offermann

Die private Altersvorsorge wird von Politikern, gut bezahlten Experten und der Finanzindustrie mit dem Argument propagiert, ansonsten seien viele im Alter auf die Grundsicherung („Rentner-Hartz IV“) angewiesen. Die gesetzliche Rentenversicherung (GRV) werde zwar für 34 Millionen Deutsche auch in den nächsten Jahrzehnten „ein sicherer und stabiler Grundpfeiler ihrer Altersvorsorge bleiben. Mit ihr erhalten die Versicherten im Durchschnitt eine monatliche Rente von 1.070 Euro, was einer Ersatzquote von rund 48 Prozent ihres letzten Bruttoeinkommens entspricht“, heißt es etwa im „Vorsorgeatlas Deutschland 2017“ von Union Investment, der Fondssparte der genossenschaftlichen DZ Bank.

Aber nur wer „zusätzlich vorsorgt – sowohl staatlich gefördert als auch privat – kann seinen Lebensstandard im Alter sichern und in Kombination mit der gesetzlichen Rente insgesamt rund 83 Prozent des letzten Einkommens erzielen“, so die Frankfurter Investmentgesellschaft, die Aktien-, Renten-, Geldmarkt-, Immobilien-, Misch- und Dachfondsanteile vor allem über die Filialen der Volks- und Raiffeisenbanken vertreibt. Doch die Mehrheit der Deutschen hat ihr Erspartes in derzeit 89,3 Millionen Lebens- und Rentenversicherungsverträge investiert. Sie zahlen dafür jährlich 90,8 Milliarden Euro Beitrag – und das wird zunehmend zu einem Problem für die Alterssparer.

Die im Schnitt tausend Euro jährlich sind in der Regel zuwenig, um in renditeträchtigere Anlageformen zu investieren. Auch kann nicht jeder in Mietshäuser von Wachstumsregionen investieren, um seinen Lebensstandard im Alter zu halten. Hinzu kommt: Wer körperlich arbeitet, schafft es selten bis 67, um das ohnehin bescheidene GRV-Rentenniveau zu erreichen. Eine armutssichere Rente nach österreichischem Vorbild? Nach Ansicht der bisherigen wie auch der künftigen Bundesregierungsparteien angeblich nicht durchsetzbar.

Doch die Kapitallebensversicherung (KLV) ist in Gefahr. Zu Zeiten von Brandt, Schmidt und Kohl galt: stabil, sicher und in Hochzeiten mit Renditen von über sieben Prozent ausgestattet. Da konnte man den prognostizierten Ablaufleistungen zufolge ein Haus finanzieren oder „etwas für die Rente tun“. Seit Anfang der Jahrtausendwende haben die KLV-Kunden jedoch einen Tiefschlag nach dem anderen zu verkraften: Mit Beginn des Jahres 2005 entfiel die Steuerfreiheit für Neuverträge. Hinzu kommen jährlich fallende Überschußbeteiligungen und Zinsen. So beträgt die laufende durchschnittliche Verzinsung derzeit noch knapp 2,5 Prozent.

Der aktuelle Garantiezins liegt mit 0,9 Prozent auf dem Niveau der Sparbuchverzinsung von vor einigen Jahren. Ein Ende dürfte angesichts der Zinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) nicht in Sicht sein, denn die KLV-Anbieter unterliegen bei der Anlage der Kundengelder strikten gesetzlichen Vorschriften. So dürfen sie aus Sicherheitsgründen nur begrenzt in Aktien oder renditestärkere Beteiligungen wie Private Equity investieren.

Vertragsverkauf an Abwicklungsplattformen

Festverzinsliche Papiere wie Staatsanleihen haben seit Jahren schrumpfende Renditen. Die Konsequenzen: Weniger Kunden schließen aufgrund der mangelnden Attraktivität neue KLV-Policen ab. Auch viele Vertreter haben Bauchschmerzen, die KLV noch als Altersvorsorge zu verkaufen und bieten diese lediglich noch im Risikobereich an, wie beispielsweise bei der Berufsunfähigkeitsvorsorge oder als Risikolebensversicherung an. Das führt dazu, daß Versicherer das Neugeschäft reduzieren oder gar keine klassischen KLV mehr anbieten.

Während die Allianz oder die Nürnberger zu ihren KLV stehen, planen Branchengrößen wie Axa, Ergo und Generali Tabula rasa zu machen. Während es früher Kunden waren, die ihre Policen an Ankäufer wie Cash-Life veräußerten, um die Verträge loszuwerden, überlegen nun die Versicherer selbst, zehn bis zwölf Millionen KLV-Verträge an ausländische Finanzinvestoren zu veräußern. Aus der Sicht der Assekuranzen ist das lukrativ, denn schließlich ist es für sie in Niedrigzinszeiten fast unmöglich, ihre einst gegebenen Zinsversprechen in Höhe von bis zu vier Prozent zu halten.

Für den Bund der Versicherten (BdV) ist der Vertragsverkauf ein „Erdbeben in der deutschen Lebensversicherung“. Wenn ein Investor diese KLV-Bestände kaufe, „dann tut er das mit dem Ziel, möglichst viel Rendite zu erwirtschaften. Das geht aber nur, wenn er den Versicherten möglichst viele Überschüsse vorenthält und in die eigene Tasche steckt“, so der BdV-Chef und Versicherungsmathematiker Axel Kleinlein. „Was bleibt ist das Prinzip Hoffnung.“

Was kommt nun auf die Kunden zu? Die Garantieleistungen bleiben auch beim neuen Verwalter unverändert bestehen. Auch mit den bisher erwirtschafteten Überschüssen können die Kunden rechnen – ansonsten würde die deutsche Aufsichtsbehörde BaFin dem Verkauf nicht zustimmen. Das zeigt das Beispiel der Basler Leben, deren Verkauf an die Abwicklungsplattform Frankfurter Leben sich eineinhalb Jahre hinzog.

Was Kunden und Verbraucherschützern Bauchschmerzen bereitet, ist die Tatsache, daß hinter den Abwicklungsplattformen ausländische Finanzinvestoren stecken. So gehört der deutsche Marktführer Viridium zu 80 Prozent der Londoner Beteiligungsgesellschaft Cinven, die Frankfurter Leben zu 75 Prozent dem chinesischen Investor Fosun. Die Amerikaner wollen mit Athene den Run-off-Markt, wie er in Branchenkreisen heißt, kräftig aufmischen. Offenbar ein lohnendes Geschäft, denn die Plattformen investieren viele Milliarden. Und so sicher die Garantien auch sind, so bleibt zu befürchten, daß die allein ihren Geldgebern verpflichteten Beteiligungsgesellschaften zumindest die künftigen Überschußbeteiligungen auf ein Minimum schrumpfen lassen werden.

„Vorsorgeatlas Deutschland 2017“:  unternehmen.union-investment.de

Lebens- und Rentenversicherungsrechner: bundderversicherten.de/