© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/17 / 20. Oktober 2017

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Bildungsbericht in loser Folge CIX: In einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine hat Klaus Ruß, selbst über Jahrzehnte im Schuldienst, mit der Inklusion abgerechnet und die wichtigsten Gründe dafür genannt, warum diese Vorstellung von der Eingliederung behinderter Kinder zum Scheitern verurteilt ist: die wahnhafte Neigung zur Gleichmacherei, die die ganze Gesellschaft erfaßt hat, die Borniertheit von Politikern, die sich nur nach dem Beifall der tonangebenden Kreise sehnen, und Schulleitern, die diesem Vorbild nacheifern und jede bessere pädagogische Einsicht über Bord werfen, um der „Außenwirkung“ ihrer Schule willen. Erstaunlich an den Thesen von Ruß ist aber, daß er auch einen Faktor beim Namen nennt, der sonst dröhnend beschwiegen wird: die Feigheit der Lehrer, die nur hinter vorgehaltener Hand zugeben, welches Desaster mit dem Begriff Inklusion kaschiert wird.

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Unvergleichbarkeiten A: „Ich würde es begrüßen, wenn Sie ebensoviel Fanatismus für ihr politisches System aufbringen würden wie die jungen Nazis während des Kriegs für ihr System aufgebracht haben.“ (US-Präsident Lyndon B. Johnson in einer Ansprache vor Studenten, 1965)

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Interessant wäre die Beantwortung der Frage, seit wann Frauen klagend ausrufen: „Stundenlang steht man am Herd, und dann ist alles ruck, zuck aufgegessen.“ Mein Verdacht geht dahin, daß es sich um das Ergebnis einer seit den sechziger Jahren anhaltenden subtilen Gehirnwäsche handelt. Lanciert wurde die von jenem Flügel der Lebensmittelindustrie, der die Fertigmahlzeit aus dem Tiefkühlfach oder gleich den Gang ins Fast-Food-Restaurant als Alternative zur Essensbereitung im Hause propagierte und das nebenbei als gesellschaftliche Modernisierung und Flankendeckung für die Befreiung der Frau verkaufen konnte.

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Im Zusammenhang mit dem Sturm, der am 5. Oktober über große Teile Deutschlands hinwegzog, wurde von den Ordnungskräften beklagt, daß die Bereitschaft der Bürger, ihren Anweisungen zu folgen, deutlich zurückgehe. Es findet sich aber kaum jemand, der das nun als weiteren Sieg im Kampf gegen den autoritären Charakter oder als Sieg der Zivilgesellschaft samt ihrer Courage feiert. Zu offensichtlich hat man es mit Staatsverfall zu tun. Wo keiner mehr befehlen kann, kann auch keiner mehr gehorchen.

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Unvergleichbarkeiten B: Am 20. März 1967 erging das abschließende Urteil im Verfahren Vereinigte Staaten gegen David Henry Mitchell. Mitchell hatte den Militärdienst in Vietnam verweigert mit der Begründung, daß es sich um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg seiner Regierung handele und diese dabei „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ beginge, wie sie durch das Statut der Nürnberger Prozesse geächtet worden seien. Die Richter wiesen diese Argumentation mehrheitlich zurück; es gab allerdings ein abweichendes Votum. Justice Douglas äußerte in seiner Stellungnahme, daß er die Position Mitchells grundsätzlich akzeptiere. Man könne kaum bestreiten, daß die Einsetzung des Internationalen Militärtribunals von den USA mit der Behauptung begründet worden sei, daß damit gleichzeitig ein neues universales Völkerrecht gestiftet werde. Es liege in der Natur der Sache, daß sie sich nun gefallen lassen müßten, an den von ihnen selbst festgelegten Standards gemessen zu werden.

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Die alberne Streiterei um die Sitzordnung im Deutschen Bundestag wie die grotesken Feuilletonspielchen um die Frage, ob man und wenn ja wie man „mit Rechten reden“ solle, haben vor allem eins gezeigt: den Sieg der „Linksmystik“ (Peter Richard Rohden), jener bizarren Idee, daß die Normalität der Verhältnisse erst gegeben ist, wenn es nur mehr Linke gibt, Ganz-Linke, Halb-Linke und Pseudo-Linke. Frankreich war auch auf diesem wie so vielen Gebieten des politischen Fortschritts Trendsetter. Da hat sich die bürgerliche Sammlungspartei irgendwann aus schierer Verzweiflung „radikal-sozialistisch“ genannt.

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Als Kanaanäer bezeichnet die Bibel jene Bevölkerungsgruppen, die das „gelobte Land“ vor der Besetzung durch die Israeliten bewohnten. Bisher konnte man den Eindruck haben, als ob sie einfach aus der Geschichte verschwunden seien, assimiliert oder liquidiert wurden. Eine andere Sicht vermitteln neuere genetische Untersuchungen an den Knochen mehrerer Individuen, die vor etwa 4.000 Jahren in Sidon bestattet wurden. Deren DNA weist eine Übereinstimmung von mehr als 90 Prozent mit derjenigen von heute im Libanon lebenden Menschen auf. Das Ergebnis einer Analyse des britischen Wellcome Trust Sanger Institute spricht außerdem dafür, daß die Kanaanäer zu einer Population gehörten, die zu einem Teil schon seit dem Neolithikum in der Levante ansässig war, zum anderen aus Menschen bestand, die während der Bronzezeit aus Eurasien einwanderten.


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 3. November in der JF-Ausgabe 45/17.