© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/17 / 27. Oktober 2017

„Ganz Berlin haßt die AfD“
Protestkundgebung gegen Rechts: Auch Linksextremisten marschieren mit
Martina Meckelein

Strahlender Sonnenschein, 14 Grad. Vor dem Brandenburger Tor sitzen schweigend Menschen und meditieren – für inneren und äußeren Frieden, und das immer wieder sonntags von 12 bis 13 Uhr. Hinter dem Brandenburger Tor ist es dagegen richtig laut. Dort versammeln sich Tausende Menschen unter dem Motto: „Gegen Rassismus im Bundestag“. Doch was als Allgemeinplatz daherkommt, ist eine knallharte Demonstration gegen die AfD. Und was viele später skandieren, ist menschenverachtend.

„Das Wahlergebnis hat eine Schockwelle durch ganz Deutschland geschickt“, schrieb Ali Can, ein Lehramtsstudent mit kurdisch-alevitischen Wurzeln, nach der Bundestagswahl auf Facebook und rief mit seinem Verein „Interkultureller Frieden e.V.“ zu einer Demonstration auf. Mitorganisatoren sind die gemeinnützige Nichtregierungsorganisation Campact (JF 45/10) und Avaaz, die politische Internetkampagnen betreiben, der DGB, die Amadeu-Antonio-Stiftung und die Naturfreunde, aber auch die Kampagne „Kleiner 5“ (JF 26/17), die ursprünglich das Ziel hatte, die AfD an der Fünfprozenthürde scheitern zu lassen. 

Schon mittags flattern Fahnen der Antifa im Wind. Ein roter Luftballon der Partei Die Linke schwebt über dem Platz. Junge Leute mit Rastazöpfen, Uralt-Punks, Eltern mit Kindern, Herrchen und Frauchen mit Hunden stehen vor der großen schwarzen Bühne. Sie fordern auf Pappschildern: „Bundestag nazifrei“ und „Stoppt die AfD“.

Von der Bühne herab heißt es, Wolfgang Thierse bedaure, nicht persönlich anwesend sein zu können, aber er habe ein paar Zeilen geschickt. Er erwarte, daß die AfD das Parlament für rassistische Auftritte nutzen werde. Peter Neuhof von der linksextremen, DKP-beeinflußten Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes ruft von der Bühne auf: „Stoppen wir gemeinsam die AfD.“ Jubel bei den Zuhörern. Unerwähnt blieb bei seiner Vorstellung, daß er einst Korrespondent der staatlichen DDR-Nachrichtenagentur ADN in West-Berlin war.  

Etwas abseits stehen zwei junge Frauen. Die eine meint: „Man müßte das alles etwas differenzierter sehen, aber dafür fehlt hier wohl die Zeit.“ Die andere lächelt: „Und das Geld.“ Denn Ali Can ruft zu Spenden auf, jeder Cent würde gebraucht.

Drei Touristen, ein Mann und zwei Frauen, sind auf Leihrädern unterwegs, scheinen sich verfahren zu haben. Eine der Frauen sagt: „Hier kommen wir nicht durch“, und zeigt auf die Demonstranten. „Dann drehen wir um und fahren in den Tiergarten.“ Weg sind sie.

„Das ist ja wie  bei Tokio Hotel“

Unterdessen ruft Maritta Strasser, „Campaignerin“ beim Demo-Mitorganisator Campact: „Schön, daß ihr so gut mitmacht. Und jetzt noch mal alle: Jubeln!“ Wieder ein Kreischen.

„Laßt uns den Bundestag umschließen“, sagt Christoph Bautz, Geschäftsführer von Campact auf der Bühne ins Mikro. „Laßt uns klarmachen, daß dort für rassistisches Gedankengut kein Platz ist.“ Drei Kilometer Fußmarsch vom Brandenburger Tor zum Reichstagsgebäude und am Kanzleramt vorbei und zurück, sind geplant. Vorne das Banner der Veranstalter, dahinter gleich die Antifa. Die brüllt: „AfD – Rassistenpack“, und „Ganz Berlin haßt die AfD“. Vor dem Reichstag legen die schwarzgekleideten Youngster mit Sonnenbrillen an Lautstärke zu: „Kein Raum der AfD – rechte Hetzer in die Spree“. Auf der Reinhardtstraße skandiert die Antifa: „Mord, Folter, Deportation – das ist deutsche Tradition.“ Da wird es einer Frau doch zu bunt, sie zerrt am Jackenärmel ihres jungen Begleiters: „Oh Gott, da gehe ich nicht weiter mit, die sind ja fürchterlich.“

Wieder am Brandenburger Tor angekommen, ärgert sich ein anderer Demonstrationsteilnehmer: „Was wollten die denn für eine Message rüberbringen? Und das nach Hamburg. Wieso läßt der Veranstalter die mitlaufen?“

Abends wird eine Birgit Knausenberger auf der Facebook-Seite der Demo posten: „Mich haben die Sprechchöre: ‘Ganz Berlin haßt die AfD’ irritiert, und ich habe auch ein paar neben mir angesprochen, daß doch das Motto genau das Gegenteil sei: Gegen Haß. Da haben sie zugestimmt und meinten, irgendwas müsse man ja rufen, und es sei so leicht und was denn besser sei?“ 

Insgesamt sind laut Veranstalter 12.000 Demonstranten unterwegs, die Polizei schätzt 10.000. Aber noch stehen Spenden aus, Bühne und Technik wollen bezahlt werden: 15.000 Euro fehlen in der Kasse! Statt ein Bier zu trinken oder eine Wurst zu essen, möge man doch einen Euro spenden, bittet Ali Can. Vor dem Marsch ging es nur um jeden Cent-Betrag, jetzt sind es schon Euro. 

Egal, denn gleich tritt die Gruppe Culcha Kandela auf. An der Bühne versuchen junge Mädchen immer wieder einen Blick auf die Musiker und Sänger im „Back Stage“ zu erhaschen. „Das ist ja wie bei Tokio Hotel“, schwärmt ein junges Ding und quietscht vor Vergnügen.

Doch der Frontmann der Gruppe scheint nicht gleich den richtigen Ton zu treffen: „Laßt uns so laut feiern, daß die AfD mitfeiern will.“ Mißmutiges Raunen im Publikum. Er hat vielleicht noch zu sehr Ali Can im Ohr, der immer wieder behauptete: „Es ist keine Anti-AfD-Demonstration.“ Nein, mit der AfD will hier keiner reden und schon gar nicht feiern.