© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/17 / 27. Oktober 2017

Ländersache: Nordrhein-Westfalen
Erste Hilfe, zweitens Schläge
Christian Schreiber

Rettungskräfte sind dazu da, Menschen in Not zu helfen. Die Allgemeinheit sollte sie daher möglichst unterstützen, müßte man meinen. Doch in Nordrhein-Westfalen – und nicht nur dort – sieht die Realität anders aus. 

Wie die Landesregierung in der vergangenen Woche mitteilte, ist laut einer Studie der Bochumer Ruhr-Universität jeder achte Feuerwehrmann und Rettungsdienstmitarbeiter in den vergangenen zwölf Monaten Opfer von körperlicher Gewalt geworden. Noch deutlich häufiger würden Einsatzkräfte angepöbelt und beschimpft. Von Beleidigungen bei Einsätzen wußten mehr als die Hälfte der befragten Retter zu berichten. An der Umfrage hatten sich 810 Einsatzkräfte beteiligt und über ihre Gewalterfahrungen Auskunft gegeben.

Die meisten Übergriffe passieren in Großstädten mit mehr als 500.000 Einwohnern wie der Hauptstadt Düsseldorf, aber auch  Köln oder Essen.  Fast immer handelt es sich bei den Tätern um Männer im Alter zwischen 20 und 39 Jahren. „Es ist nicht hinnehmbar, daß Helfer bei einem Notfall Sorge haben müssen, selber angegriffen zu werden“, sagte Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU). Für Innenminister Herbert Reul (CDU) zeigen die Angriffe „ein erschütterndes Maß an Verrohung“. Überraschenderweise geht die Gewalt in drei Viertel aller Fälle von dem Patienten selbst aus. Aber es gibt auch andere Beispiele. Im Kölner Umland behinderte ein Schaulustiger kürzlich einen Einsatz. Anschließend soll der Mann zudem die Helfer beschimpft haben. Der Notar­zteinsatz wurde durch die Aktion erheblich verzögert. „Die Gewalt kommt ohne Vorwarnung“, sagte die Geschäftsführerin der an der Untersuchung beteiligten Unfallkasse NRW, Gabriele Pappai. Die befragten Retter berichteten überwiegend, daß sie während der Diagnose und Erstversorgung angegriffen worden seien. Manchmal auch von Personen aus dem Umfeld des Opfers. 

So griffen vor einigen Monaten drei Männer zwei Sanitäter in Gelsenkirchen bei einem Einsatz an. Wie Focus Online berichtet, waren sie gerufen worden, um eine Frau medizinisch zu versorgen.  Als sie zum Rettungswagen zurückkehrten, um eine Trage zu holen, stürmten drei Männer auf die Sanitäter zu. Sie hatten den Einsatz aus einem nahe gelegenen Haus beobachtet. Dem WDR zufolge seien die Männer auf die Helfer losgegangen, da sie angeblich „ehrverletzende Äußerungen“ gegenüber der Frau gehört hatten. Es habe sich um Familienangehörige des Opfers aus dem arabischen Kulturkreis gehandelt. Auch in Essen stieg die Zahl der Übergriffe stark. Die örtliche Feuerwehr sieht das eher gelassen. Für die Retter sind die Angriffe Berufsrisiko, heißt es. Diese Aussage treibt auch die zuständige Gewerkschaft um. Besorgniserregend sei, daß die Einsatzkräfte häufig überzeugt seien, solche Übergriffe gehörten zum Job, erklärte der Landesvorsitzende der Gewerkschaft Komba, Andreas Hemsing, der Rheinischen Post. 

Etwa 70 Prozent der Befragten wünschen sich mehr Fortbildungsmaßnahmen beim Deeskalationstraining und in der Selbstverteidigung. „Die Ergebnisse der Studie sind eine gute Grundlage für die Entwicklung geeigneter Präventionsmaßnahmen. So werden wir auch Anpassungen am derzeitigen Aus- und Fortbildungsangebot überprüfen“, so Minister Reul.