© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/17 / 27. Oktober 2017

Sein oder nicht sein
Katalonien: Warten auf den Knall
Michael Ludwig

Wird die katalanische Regierung dem massiven Druck aus Madrid weiter standhalten oder wird sie einknicken? Fest steht: Die Uhr läuft, und es ist nur noch eine Frage der Zeit, ob die brennende Lunte das Pulverfaß in Barcelona explodieren läßt, oder ob die Sezessionisten buchstäblich im letzten Augenblick nachgeben werden, um die drastischen Maßnahmen, die von der spanischen Zentralregierung angekündigt worden sind, doch noch zu verhindern.

Die politische Führungsspitze der rebellischen Provinz im Nordosten der Iberischen Halbinsel hat das Parlament zusammengerufen. Es geht um die Frage des politischen Seins oder Nichtseins – wird Barcelona die Gelegenheit nutzen, um endgültig und unwiderruflich die Unabhängigkeit Kataloniens auszurufen? Für Regierungschef Carles Puigdemont steht so gut wie alles auf dem Spiel. Sollte er die sezessionistische Karte spielen, wird ihn die Zentralregierung absetzen und wegen „Rebellion“ verhaften. Ihm drohen bis zu 30 Jahre Gefängnis. Das gleiche Schicksal wird seine zwölfköpfige Regierungsmannschaft ereilen, daran läßt Madrid keinen Zweifel.

Innerhalb der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung gibt der harte Flügel den Ton an. Die Partit Democrata Europeu Catala (PDeCAT), die mit Puigdemont den Ministerpräsidenten der Region stellt, gilt als liberale Kraft, deren Mitglieder sehr wohl die Loslösung von Spanien anstreben. Doch nicht alle wollen dieses Ziel auf Biegen und Brechen durchsetzen. Vor allem die bürgerlichen und  unternehmerfreundlichen Strömungen warnen vor dem politischen Supergau. Allerdings konnten sie sich in letzter Zeit zunehmend weniger Gehör verschaffen.

Diffizile Balance zwischen Linken und Liberalen  

Auf Konfrontationskurs fährt die linke ESC, die mit der PDeCAT ein Bündnis eingegangen ist, um an die Macht zu kommen. Sie stellt den stellvertretenden Regierungschef Oriol Junqueras. Noch um einiges radikaler ist die Anti-System-Partei CUP, deren zehn Parlamentssitze Puigdemont braucht, um seiner Minderheitsregierung zur parlamentarischen Mehrheit zu verhelfen. Sie würde lieber heute als morgen die unabhängige Republik Katalonien ausrufen. In den vergangenen Tagen erregte sie mit einer Aktion des zivilen Ungehorsams landesweit Aufsehen. CUP rief ihre Anhänger dazu auf, vor allem bei den beiden katalanischen Banken Caixa und Sabadell Geld abzuheben, um sie für die Verlegung ihrer Geschäftssitze in eine andere Provinz zu bestrafen. Der symbolische Betrag sollte 155 Euro betragen – der Verfassungsartikel, mit dessen Hilfe die Zentralregierung Barcelona zur Räson bringen will, hat die Nummer 155.

Einen wesentlichen Einfluß auf das, was in Katalonien politisch geschieht, üben die beiden zivilen Organisationen Asamblea Nacional Catalana (ANC) und Omium Cultural aus. ANC (80.000 Mitglieder) und Omnium Cultural (65.000 Mitglieder) organisieren die machtvollen Demonstrationen der Unabhängigkeitsbefürworter. Ihre Chefs, Jordi Sánchez und Jordi Cuixart, sitzen derzeit wegen Anstiftung zum Aufruhr in einem Madrider Untersuchungsgefängnis. Nach Ansicht vieler politischer Beobachter führte die Verhaftung der beiden Katalanen dazu, daß sich die Fronten weiter verhärtet haben. 

Madrid wähnt alle Trümpfe in der Hand  

Am vergangenen Samstag hatte die Zentralregierung unter Ministerpräsident Mariano Rajoy die politischen Daumenschrauben erneut angezogen und den Artikel 155 der spanischen Verfassung auf den Weg gebracht. Er verpflichtet die Regionalregierungen, die Verfassung zu achten und innerhalb der geltenden Gesetze zu handeln. Sich vom Mutterland abzuspalten, so urteilte das Oberste Gericht in Madrid, ist nichts anderes als ein Verfassungsbruch und somit illegal. In diesem Fall ist die Zentralregierung berechtigt, alle „erforderlichen Maßnahmen“ zu ergreifen, um den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen.

Wenn am Freitag dieser Woche der Senat dem Antrag der konservativen Regierungspartei PP unter Mariano Rajoy zustimmt, dem Artikel 155 Geltung zu verschaffen – und daran besteht kein Zweifel, daß er es tun wird, denn in dem Gremium besitzt die PP die absolute Mehrheit –, wird es für die Katalanen wirklich ernst. Madrid läßt nicht nur die politische Führungsspitze Kataloniens aus dem Verkehr ziehen, sondern übernimmt auch die Kontrolle über alle Ministerien und die regionale Polizei, die Mossos. Das Parlament in Barcelona verfügt dann nur noch über eingeschränkte Kompetenzen. Innerhalb der nächsten sechs Monate, so erklärte Rajoy auf einer Pressekonferenz, sollen die Katalanen eine neue Volksvertretung wählen.