© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/17 / 27. Oktober 2017

Spiegel der Seele
Gemütsbewegungen: Der Porträtmaler und Grafiker Karl Bauer war auf Luther-Bilder spezialisiert
Martin Voelkel

Anläßlich der Ausstellung „Lutherbilder aus sechs Jahrhunderten“ im württembergischen Waiblingen wurde auch eine großformatige Darstellung des Reformators von Karl Bauer gezeigt. Sie war für lange Zeit den Blicken der Öffentlichkeit verborgen. Auf dem Gemälde sieht man Luther mit strenger Miene auf den Betrachter blicken. Er trägt den schwarzen Gelehrtenmantel, darunter den schwarzen Rock mit dem auffälligen (und schwer deutbaren) roten Einsatz und das Doktorbarett auf dem Kopf. Die Linke liegt schwer auf der Bibel, die Rechte ist wie zum Schwur gehoben, im Hintergrund Christus am Kreuz.

Das Gemälde hatte man in den 1970er Jahren aus dem Innenraum der Jakobuskirche von Oppenweiler entfernt und im Kirchturm verwahrt. Was für diese Entscheidung den Ausschlag gab, ist nicht bekannt. Vielleicht war es nur das Pathos der Zwischenkriegszeit, das man als unpassend empfand, vielleicht war es ein Akt der Selbstzensur, angesichts der Tatsache, daß von Bauer, wenn sonst wenig, dann doch bekannt ist, daß er auch Hitler gezeichnet hat. Mit dieser Feststellung ist aber nichts über den Rang Bauers als Maler und Zeichner gesagt.

Bauer wurde am 7. Juli 1868 in Stuttgart geboren und starb dort am 6. Mai 1942. Er besuchte nach dem Abitur die Staatliche Akademie der Künste in seiner Heimatstadt, dann die Akademie in München. Während dieser Zeit reiste er mehrfach nach Frankreich und Italien. 1891 lernte er bei solcher Gelegenheit in Venedig den Dichter Stefan George kennen, zu dessen weiterem Kreis er in Zukunft zählte. George veröffentlichte mehrere Gedichte Bauers in den Blättern für die Kunst, während Bauer mindestens zwei Porträtzeichnungen Georges angefertigt hat.

Nach 1896 ließ sich Bauer endgültig in München nieder und arbeitete vornehmlich als Illustrator. Er stattete Heinrich Heines „Buch der Lieder“ aus und fertigte für die berühmte Zeitschrift Jugend Vorlagen der Titelbilder. Er entwarf aber auch Spielkarten mit thematischen Motiven, Sammelbilder, Postkarten und ganze Serien für die in der wilhelminischen Zeit beliebten Themen-Mappen mit Reproduktionen.

Sicher gehörte Bauer vor dem Ersten Weltkrieg zu den populären Künstlern in Deutschland. Seine Lithographien, Tuschfederzeichnungen und Radierungen waren im Bildungsbürgertum aus-gesprochen verbreitet. Das galt in erster Linie für die Porträts, die zu seinen besonderen Stärken gehörten. Bauer orientierte sich dabei an klassischen Vorbildern und arbeitete die Bilder idealisierend – gelegentlich auch dämonisierend, mit expressiven Zügen – aus. Das Spektrum der Personen, die er wiedergegeben hat, reichte von Friedrich dem Großen und Napoleon bis zu Wilhelm II., von Dante bis Nietzsche, von Shakespeare bis Darwin, von Beethoven bis Wagner, von Kleist bis Strindberg. Besonders bekannt waren aber die zahlreichen Darstellungen Goethes und Schillers. Deren Zahl wurde nur noch durch Bauers Luther-Bilder übertroffen.

Bereits für eine Ausgabe der Jugend von 1903 hatte Bauer eine farbige Lithographie geschaffen. 1917, aus Anlaß des 400. Jahrestags der Reformation, konnte er schon eine ganze Sammlung mit Darstellungen vorlegen, die nicht nur Luthers Kopf oder Büste, sondern auch verschiedene Szenen aus dessen Leben zeigten. In der Folgezeit fertigte Bauer außerdem große Gemälde für evangelische Kirchen in Helsinki, Görlitz und dem erwähnten Oppenweiler. Hinzu kamen zahlreiche weitere Porträts, die meistens für christliche Publikationen Verwendung fanden. Bemerkenswert war dabei, daß Bauers Wiedergabe zwar dem Kanon – insbesondere den Arbeiten Cranachs – folgte, aber in einigen Fällen auch deutlich davon abweichen konnte. Das galt etwa im Fall eines Steindrucks von 1929, der Luther als Mönch zeigte und mit dem bekannten Kupferstich Cranachs aus dem Jahr 1520 kaum Ähnlichkeit zeigte.

Die Ursache dafür waren Bauers sorgfältige Studien zu Luthers Physiognomie, die er sogar in einer eigenen Schrift (Luthers Aussehen und Bildnis – Eine physiognomische Plauderei, 1930) zusammenfaßte. Neben zeitgenössischen Berichten und Bildern hatte er auch die Totenmaske für seine Rekonstruktion genutzt, wobei es ihm gleichermaßen um „das von der Natur Angeborene als das Angenommene des Wesens“ ging. Bauer hielt das Gesicht Luthers für eine Art Seelenspiegel, der nicht nur dessen Willenskraft und Neigung zum Grübeln wiedergab, sondern auch die innere Spannung und das Zusammenwirken ganz unterschiedlicher Temperamente.

Diese Auffassung ist der Gegenwart fremd geworden. Wer jedoch heute die seltene Gelegenheit hat, Bauers Luther-Bilder zusammen zu sehen – wie im Fall der Wittenberger Ausstellung „95 Menschen – 95 Schätze“ –, wird feststellen, daß es sich lohnt, nicht nur dem Wandel seines Aussehens mit dem Alter nachzugehen, sondern auch der Unterschiedlichkeit der Gemütsbewegung, die Bauer meisterhaft und mit großer Präzision festgehalten hat.