© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/17 / 27. Oktober 2017

Entscheidende Algorithmen
1942 erbeuten die Briten den Enigma-Code
Karl Sternau

Im Jahr 1942 kam es in der Geschichte der deutschen Verschlüsselungsmaschine Enigma gleich zu zwei entscheidenden Wendepunkten. Ab 1. Februar nutzte die Kriegsmarine die „M4“, ein neues Modell mit vier Walzen, was zur Folge hatte, daß die Briten im Entschlüsselungszentrum Bletchley Park die Nachrichten von einem Tag auf den anderen nicht mehr mitlesen konnten. 

Die Erfolge der deutschen U-Boote stiegen in den nächsten Monaten immens an, da die alliierten Konvois nicht mehr gezielt ausweichen konnten und zudem die deutschen U-Boote beim Auftauchen kaum angegriffen wurden. Die Atlantikschlacht schien sich zugunsten der Achsenmächte zu wenden. Allein im Juni verloren die Alliierten rund 700.000 Bruttoregistertonnen (BRT), überwiegend im Nordatlantik; es war der verlustreichste Monat im gesamten Zweiten Weltkrieg. Insgesamt versenkten die deutschen U-Boote 1942 fast dreimal so viele BRT wie im Vorjahr.

Doch bereits am 30. Oktober 1942 gelang es dem britischen Zerstörer „HMS Petard“, das deutsche U-Boot U 559 zu kapern und bedeutende Unterlagen für die Enigma-Entschlüsselung zu bergen. Nachdem die erbeuteten Dokumente schnellstmöglich nach Bletchley Park gebracht worden waren, knackten die Kryptologen um den Mathematiker Alan Turing die „M4“ im Dezember, wodurch der deutsche Funkverkehr ab dem 13. Dezember 1942 wieder mitgelesen werden konnte. Die Entschlüsselung wirkte sich drastisch auf den Verlauf der Atlantikschlacht aus. 

Besonders nach der Weiterentwicklung der „Turing-Bombe“, einer elektromechanischen Maschine, die zum Zwecke der Entzifferung extra angefertigt worden war, nahmen die alliierten Erfolge gegen die deutschen U-Boote ab Frühjahr 1943 wieder massiv zu. Die deutsche Kriegsmarine verlor in diesem Jahr 236 U-Boote, im Vorjahr waren es nur 85. Zudem waren die Alliierten nun wieder in der Lage, ihre eigenen Geleitzüge sicher durch den Atlantik zu manövrieren. 

Trotz der verheerenden Folgen schöpfte man auf der deutschen Seite lange keinen Verdacht. Die Enigma wurde weiterhin als unknackbar betrachtet. Erst im November 1944, als die Niederlage nicht mehr abwendbar war, ließ der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Karl Dönitz, die Sicherheit verschärfen. Dieser Schritt kam jedoch zu spät. Die Entschlüsselung der Enigma in der wichtigsten Kriegsphase trug so einen entscheidenden Teil zum Ausgang der Atlantikschlacht und damit des gesamten Krieges bei.