© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/17 / 27. Oktober 2017

Unter Merkel heimatlos geworden
Werner Münch, früherer Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, liest Kirche und Politik die Leviten
Katrin Faber

Bei der Vielzahl an Schreckensnachrichten, die täglich auf den aufmerksamen Zeitgenossen einprasseln, kann man leicht den Überblick verlieren. Eine umfassende Übersicht über all das, was sich in den vergangenen Monaten und Jahren an unheilvollem Wandel in Kirche, Gesellschaft und Politik vollzogen hat, bietet Werner Münch mit seinem neuen Buch „Freiheit ohne Gott – Kirche und Politik in der Verantwortung“. 

Doch nicht nur das. Der ehemalige Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt und Professor für Politikwissenschaft und Soziologie analysiert, kommentiert und legt in seinen Beiträgen – Essays, vor allem aber Vorträge aus den vergangenen zwei Jahren – eine schonungslose Bestandsaufnahme der bundesdeutschen Gegenwart vor. Besonderes Augenmerk lenkt der überzeugte Katholik auf die Haltung seiner Kirche zu aktuellen Fragen wie Ehe und Familie, Genderideologie, Christenverfolgung und Islam. 

Die Verharmlosung des letzteren durch Kirchenvertreter sowie deren ständige Stellungnahmen zur Politik bei einer gleichzeitigen Voreingenommenheit gegenüber politischen Parteien wie der AfD gehören zu den wesentlichen Kritikpunkten des Verfassers. Die Ursache, eine Anbiederung der Kirche an den Zeitgeist, führe dann auch dazu, daß sich Gläubige heimatlos fühlten. Demgegenüber erinnert der Autor an die Strahlkraft und das große Vorbild, das etwa noch Papst Benedikt XVI. gab, der immer wieder für eine „Vernunft des Glaubens“, für eine „Vernunft der Moral“ plädierte und jeglicher Anpassung an die jeweiligen Zeitströmungen eine deutliche Absage erteilte. Denn auch für Münch gelten nach wie vor „Wahrheit, Lehre und Tradition und nicht Verweltlichung, Lebenswirklichkeit, Zeitgeist und ‘Verheutigung’ des Evangeliums.“

Auch die gesellschaftliche und politische Entwicklung verfolgt Münch mit Sorge und wachsendem Zorn. Das alltägliche Gerede von „Islamophobie“, „Einzelfällen“, einem „liberalen Islam“, „der Bereicherung für unsere Gesellschaft und den Arbeitsmarkt“, der „Selbstradikalisierung der Attentäter“ sowie die Politische Korrektheit, die nachgerade zu einem Zwang geworden ist – Münch ist es leid. 

Sehnsucht nach ehrlichem Diskurs in der Gesellschaft

Dabei scheut er sich nicht, gegen seine eigene ehemalige Parteivorsitzende und Kanzlerin Stellung zu beziehen. Ja, das einstige (bis 2009) CDU-Parteimitglied ist – wie der Verfasser selbst konzediert – sogar zum Protestwähler geworden. Folgt man seinen Ausführungen, so stellt sich diese Entscheidung als logische Konsequenz dar. So rechnet Münch ab mit der „Arroganz der Macht“ der etablierten Parteien, deren Vertreter bei ihren Kommentaren über Andersdenkende selbst vor übelsten Schmähungen nicht zurückschrecken (Gabriel:„Pack“, Schäuble: „Dumpfbacken“, Strobl: „Schande mit Parteistatut“ und Schlimmeres), obwohl sie doch sonst allseits „Respekt“ und „Toleranz“ einfordern. Gerade diese Widersprüche klar zu benennen, ist ein großes Verdienst des Buches, wenn etwa gefragt wird: „Wie kann eigentlich eine Regierung eine ‘Willkommenskultur’ für alle Menschen auf der Welt propagieren und gleichzeitig ein sogenanntes ‘Recht auf Abtreibung’, das heißt eine millionenfache Tötung von ungeborenen Kindern zulassen und unterstützen?“

Münch spricht in bezug auf die Migrantenkrise das aus, was viele denken: „Merkel läßt sich zur Ikone der Humanität hochstilisieren und nimmt dabei nicht zur Kenntnis, daß der Bürger in diesem Land unsicher geworden ist und Angst hat.“ Warum ignoriere sie die Tatsache, daß so viele Bürger wie nie zuvor in der letzten Zeit Tresore, Waffen und Pfefferspray gekauft und sich zu Selbstverteidigungs- und Karatekursen angemeldet hätten? Münch folgert: „Es darf nicht so bleiben, daß ein ehrlicher Diskurs in unserer Gesellschaft kaum noch stattfindet.“ Damit zeichnet ihn das aus, was auch seinen früheren Parteikollegen Wolfgang Bosbach so authentisch macht: seine erfrischende Nähe zum Volk sowie eine unbeirrbare Geradlinigkeit in Geist und Verhalten, wie sie bei heutigen Politikern jedweder Couleur nicht mehr allzu häufig anzutreffen ist.

Werner Münch: Freiheit ohne Gott – Kirche und Politik in der Verantwortung. Media Maria Verlag, Illertissen 2017, gebunden, 176 Seiten, 16,95 Euro