© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/17 / 03. November 2017

Grüße aus Moskau
Blechbüchse? Ballon?
Thomas Fasbender

Um Überraschungen nie verlegen: Ein Gericht in Nowosibirsk hat einen Ballonfahrer zu rund 100 Euro Geldstrafe verurteilt, weil er sich statt in der üblichen Ballongondel im Fahrersitz eines sowjetischen Kleinstwagens der Marke Oka himmelwärts bewegt hatte. Der Vorfall datierte bereits im August, doch inzwischen wissen wir, was der Fahrer im Wiederholungsfall mitzuführen hat: Gesundheitszeugnis, Pilotenlizenz und eine vollständige technische Dokumentation seines Gefährts. Ist damit nun der Ballon gemeint oder die Blechbüchse namens Oka?

Moskau hat andere Sorgen. Auslöserin ist die Primaballerina Mathilde Kschessinskaja, die mit dem letzten Zaren, damals noch Kronprinz, Zarewitsch, bis zu seiner Eheschließung Ende 1894 ein enges Verhältnis pflegte. Der aufwendig gedrehte Historienfilm „Mathilde“ mit dem deutschen Schauspieler Lars Eidinger in der Rolle des Zaren Nikolaus II. steht kurz vor dem Kinostart.

Für junge Russen sind Konsumgesellschaft und der Drang nach Identität kein Widerspruch.

Den zu verhindern, dafür beten fundamental-orthodoxe Gruppen wie die Nichtregierungsorganisation „Christlicher Staat – Heilige Rus“. Schließlich wurde die 1918 von den Bolschewiken ermordete Zarenfamilie vor 17 Jahren heiliggesprochen. Vorehelicher Beischlaf geht da gar nicht. Im übrigen beten die Gegner nicht nur. Drohungen, wonach Kinos, die den Film im Programm hätten, abgefackelt würden, machten die Runde. 

In Gestalt der konservativen Duma-Abgeordneten Natalja Poklonskaja genießen die Fundamentalisten politischen Schutz, und der reicht angeblich bis tief in den Kreml hinein. Dort, hinter den Kulissen, liefern sich urbane National- und Wirtschaftsliberale mit den Anhängern einer primär auf Recht und Ordnung bedachten Politik heftigste Grabenkämpfe. Kulturminister Wladimir Medinski, der sich für den Film stark machte, argumentiert aus der Defensive heraus. Einige Beobachter lesen den Skandal auch als Beleg für Wladimir Putins nachlassende Autorität. 

Der offizielle Patriotismus werde von christlichen Fundamentalisten usurpiert.Wird Putin seiner Zauberlehrlinge Herr? Gerade in der jungen Generation sind Konsumgesellschaft und der Drang nach Identität, ob religiös oder kulturell, kein Widerspruch. 

Daß die liberale Fraktion im Kreml noch Grenzen setzen kann, zeigt die jüngste Entscheidung der größten Kinokette, „Mathilda“ zu zeigen. Die Sicherheitsorgane, so das Unternehmen, hätten einen gefahrlosen Betrieb garantiert.