© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/17 / 03. November 2017

Pankraz,
Xi Jinping und der Weg zum Mandarin

Als „neuer Mao Tse-tung“ wurde Herr Xi Jinping von vielen hiesigen Medien nach dem 19. Parteitag der chinesischen KP vor zwei Wochen in Peking bezeichnet – keine Einordnung könnte  falscher und irreführender ausfallen.  Gewiß, Xi Jinping ist Generalsekretär der KPCh, Vorsitzender der obersten Militärkommission und Staatspräsident seines Landes, wie es auch Mao war, doch trotz all dieser Titel verkörperten beziehungsweise verkörpern die beiden Welten, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Der Gegensatz ist geradezu schreiend.

Trotzdem legen Xi Jinping und die Seinen den allergrößten Wert darauf, daß ihr Land auch von ihnen „kommunistisch“ regiert werde. Es herrsche, sagen sie, „ein Kommunismus mit chinesischem Angesicht“. Was treibt sie da an? Prestige zu gewinnen gibt es damit nicht, weder nach innen noch nach außen. Der Kommunismus ist ja mittlerweile überall in der Welt als Anti-System par excellence und pure Horrorwirklichkeit kenntlich geworden, nicht nur in der Sowjetunion, sondern auch auf Kuba, in Venezuela, Bolivien,Vietnam, Kambodscha, auf Madagaskar. Überall ist er spektakulär gescheitert.

Mittlerweile gilt er selbst bei manchen Linken als Inbegriff anthropologischer Dummheit, wirtschaftlicher Ignoranz, irren Größenwahns mit schrecklichsten Folgen sowohl für das Volk wie für Wissenschaft und Kunst. Die historisch bekannt gewordenen kommunistischen Politbüros waren allesamt kein „Rat der Götter“, sondern eine Korona  machtgieriger Platzhirsche, von denen jeder so bald wie möglich Alleingott werden wollte und alles tat, um seine Mitgötter grausam umzubringen.


Was speziell Mao betrifft, so war seine „Kulturrevolution“ ein frontaler Angriff auf sämtliche tief eingewurzelten Wertvorstellungen der chinesischen Tradition, und er wurde mit äußerster Brutalität durchgeführt. Die Todesopfer gingen in die Millionen. Unzählige Arbeitslager, sprich KZs, wurden eingerichtet, deren Angehörige nicht nur völlig unproduktive Handarbeit leisten mußten, sondern auch Tag für Tag mit „Gehirnwäsche“ gequält wurden. Viele buddhistische Tempel wurden komplett zerstört, viele alteingeschliffenene Kultupraktiken verhöhnt und abgeschafft.

Die Wende kam 1979 mit Deng Xiaoping (1904–1997), einem ehemaligen engen Kampfgefährten von Mao, der sich aber während der „Kulturrevolution“, wie er am Ende seines Lebens einräumte, vom linken Hardliner zum markt-orientierten Pragmatiker entwickelt hatte. Berühmt wurde von ihm auch, den technisch-ökonomischen Fortschritt betreffend, der Ausspruch: „Es spielt keine Rolle, ob die Katze schwarz oder weiß ist; solange sie Mäuse fängt, ist sie bereits eine gute Katze.“ Deng hatte erkannt, daß die „westliche“ Ökonomie die bessere Katze war, also entschied er sich für diese.

Xi Jinping (Jahrgang 1953) hat in seiner Parteikarriere nie einen Hehl aus seiner Bewunderung für Deng Xiaoping gemacht. Wie dieser stellte er heraus, daß die Ökonomie nicht das einzige, ja nicht einmal das primäre Anliegen der Politik sein dürfe. Ihr vorgelagert sei das Bemühen um das Wohlergehen des Volkes insgesamt, von dem das ökonomische Wohlergehen nur ein Teil sei. Optimale innerfamiliäre Regelungen à la Konfuzius, Kampf gegen Bevölkerungsexplosion, Luftverschmutzung Naturzerstörung, Erhalt der kulturellen  Tradition seien mindestens ebenso wichtig wie sie.

Natürlich, so Xi Jinping weiter, sei eine „direkte“ Volksherrschaft weder objektiv möglich noch vom Volk gewünscht. Es müsse funktionierende Bürokratien und kompetente Entscheidungsgremien geben. Chinesisch ausgedrückt: eine wirklich gute Truppe optimal ausgebildeter „Mandarine“ (das Wort bedeutete ursprünglich „Die, die genau sprechen können“). Und die höchste Tugend eines echten Mandarins sei (neben seiner Gelehrsamkeit und Belesenheit), der Pragmatismus. Niemals dürfe sich ein Mandarin bei der Lösung einer Sache von Großideologien (oder Schnapsideen) leiten lassen.


Das einzige, was gelte, sei der konkrete Blick auf die jeweilige Problemlage, die immer einmalig sei und unverschleierte Gelehrtenstimmung erfordere. Alles übrige ergibt sich daraus. Entscheidungsträger dürfen nicht korrupt sein, dürfen keine eigenen Interessenlagen ins Spiel bringen. Und sie müssen liberal sein im klassischen konservativen Sinne; sie müssen sich davor hüten, die Dinge einfach über einen vorliegenden Leisten zu schlagen. Denn die Welt ist vielfältig, und erst die Vielfalt in der Einheit macht ein Gemeinwesen ja wahrhaft lebenswert.

Was für ein Unterschied also zwischen dem Genossen Mao von einst mit seinen Utopien und Konzentrationslagern und dem Mandarin Xi Jinping von heute mit seinem Pragmatismus und seiner Vorliebe für gute Anzüge und amerikanische Filme! Um so rätselhafter bleibt freilich, warum der Staatspräsident und die ihn umgebenden Mitmandarine nach wie vor allergrößten Wert darauf legen, als Kommunisten betitelt zu werden. „Konfuzianer“ wäre doch viel besser!

Nun, vielleicht hat man in Peking und Umgebung inzwischen einen sarkastischen Spruch verinnerlicht, der vor der Wende bei einigen klugen Ostblock-Dissidenten umging: „Der Kommunismus ist das höchste Stadium des Kapitalismus.“ Sie verwiesen damals  auf das ungeheure Globalisierungspotential, das der Kommunismus entfalte, die allumfassende Gleichmacherei und Uniformierung der Menschen, ihre Degradierung zum bloßen „Verbraucher“, dem man halbwegs das Maul stopfen mußte, damit er den herrschenden  Politbüros nicht gefährlich wurde.

Machten das nicht, fragten die Dissidenten, auch die herrschenden Manager im entfalteten Kapitalismus des Westens; nur eben schlechter, weil sie weniger Macht hatten als die Politbüros? Mag sein, daß sich heute auch manche Groß-Mandarine in China solchen Allmachtsträumen hingeben. Sie sollten das dramatische Ende bedenken, das solches Treiben schon damals vielerorts genommen hat.