© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/17 / 03. November 2017

Auf der Seite der Guten
Kommunismus: Von seiner früheren Bedeutung ist nur ein Schatten geblieben
Karlheinz Weißmann

Frage: „Was ist Kommunismus?“ Antwort: „Wenn alle gleich sind.“ Frage: „Steht dahinter im Prinzip eine gute Idee?“ Antwort: „Ja.“ So etwa verlaufen viele Gespräche mit Durchschnittsbürgern zum Thema. Kommunismus erscheint den meisten als eine zwar kaum realisierbare, aber doch wünschenswerte Form des menschlichen Zusammenlebens. Das war schon vor dem Kollaps der Sowjet-union so, und daran hat sich bis heute wenig geändert.

Vor 1989 mochte auch eine politische Option hinter der prinzipiellen Sympathie gestanden haben. Aber davon ist keine Rede mehr. Denn vom Kommunismus blieb nur der Schatten seiner früheren Bedeutung. Es geht nicht einmal mehr das „Gespenst“ um, von dem Karl Marx und Friedrich Engels im „Kommunistischen Manifest“ gesprochen haben. Selbst in Rußland, dem Nachfolgestaat der Sowjetunion, sind die kommunistischen Parteien fast bis zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft.

Es gibt manche, die sich glorreicher Zeiten zu erinnern meinen, und das staatlich verordnete Bemühen, die Entwicklung nach der Oktoberrevolution in eine große Erzählung des nationalen Schicksals einzufügen, aber von ernsthaften Bestrebungen, das alte Sowjetsystem wiederherzustellen, kann keine Rede sein. Abgesehen von China, Vietnam, Kuba, Nordkorea und Laos gibt es heute keine KP mehr an der Macht. Und während die drei letztgenannten Länder noch zäh am Modell des „Realsozialismus“ festhalten, haben die beiden ersten das Gleichheitspostulat längst aufgegeben. Nur das Dekor in Rot und Gold steht noch, samt Verlautbarung des ZK, Schulung und Scheinwahlen. Aber das Funktionärskorps der Partei Chinas, der letzten kommunistischen Großmacht, besteht längst aus ehrgeizigen Technokraten, denen die Absurdität der Doktrin lediglich als Mittel der Massendisziplinierung dient.

Der Unterschied zur hiesigen Lage ist offensichtlich. Der organisierte Kommunismus in Deutschland ist nur noch eine marginale Größe. An den Kiosken liegen ein paar Sympathisantenblätter. Ansonsten ist die Präsenz nur virtuell, und auch wenn die Genossen der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) wie der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) für die Bundestagswahl unverdrossen plakatiert haben, blieben sie ohne jeden Erfolg. Die Stimmenzahl der DKP lag bei 0,0 Prozent, die der MLPD bei 0,1 Prozent. Die DKP besteht aus ein paar tausend Unerbittlichen, die treu zu den alten DDR-Idealen stehen. Die MLPD ist nichts als der Wurmformsatz jener sektenartigen K-Gruppen, die aus der Konkursmasse der Achtundsechziger-Bewegung hervorgegangen waren. Weder die eine noch die andere Gruppierung hat irgendwelche Anziehungskraft. Wenn überhaupt, dann kann man nur im Rahmen politischer Kampagnen etwas bewirken.

Da gibt es allerdings unliebsame Konkurrenz: Linksextremisten, die sich als „autonom“ verstehen und nicht auf Parteilinie zu bringen sind, und jene Ketzer, die die kommunistische Orthodoxie mit Widerwillen betrachtet: die „Trotzkisten“. Die versuchen schon lange nicht mehr, offen zu agieren. Sie ziehen es vor, bestehende Organisationen zu unterwandern oder getarnt zu arbeiten. Die jüngsten Aktionen an der Berliner Universität, die gegen die Professoren Münkler und Baberowski gerichtet waren, wurden von Trotzkisten getragen.

Deren Wirksamkeit hatte nichts mit personeller Stärke oder Güte der Argumentation zu tun, sondern mit der Chiffre „Antifaschismus“. Ein Begriff, der vor Jahrzehnten auf Weisung Stalins in die kommunistische Agitation eingeführt wurde, um einerseits den Begriff „Nationalsozialismus“ zu vermeiden, der Irritation in den eigenen Reihen verursacht hätte, und andererseits Allianzen mit bürgerlichen Kräften zu schließen, die das Gefühl haben sollten, auf der Seite der eindeutig Guten gegen die eindeutig Bösen zu stehen.

Diese Strategie war so erfolgreich, daß sie bis heute funktioniert und an sich völlig bedeutungslosen Organisationen immer wieder nützliche Idioten zuführt, die das Spiel nicht durchschauen, sondern gebannt auf den Fetisch „Antifa“ starren. Der hat entscheidenden Anteil am Wohlwollen gegenüber dem Kommunismus. Nicht einmal die Tatsache, daß in der Liste der „Megamörder“ (Gunnar Heinsohn) Mao Zedong und Stalin vor Hitler rangieren und Mussolini sowieso weit abgeschlagen ist, ändert daran irgend etwas.

Man kann das mit der systematischen Vernachlässigung aller historischen Information über die Wirklichkeit des Kommunismus erklären. Aber das ist es nicht allein. Die eingangs erwähnte Auffassung, daß der Kommunismus eine an sich gute Idee sei, hat auch damit zu tun, daß es in der Weltgegend, die einmal „der freie Westen“ war, eine heimliche Affinität zu dem System gibt, das als das feindliche deklariert wurde. Der französische Philosoph und Soziologe Jean Baudrillard äußerte, es habe in den USA deshalb keine mächtige kommunistische Partei gegeben, weil der „american way“ im Grunde dieselben Verheißungen biete wie der sowjetische. Hier wie dort eine materialistische Denkweise, hier wie dort das Vertrauen in den technischen Fortschritt, hier wie dort eine egalitäre Utopie, in der der Einzelne leben soll, ohne jede Bindung, nur an Konsum und Selbstentfaltung interessiert. Allerdings, fügte Baudrillard hinzu, sei man in den Vereinigten Staaten der Realisierung sehr viel näher gekommen als in der UdSSR.

Wahrscheinlich ist die verdeckte Konvergenz der Hauptgrund für den Harmlosigkeitsbonus, der dem Kommunismus zugestanden wird. Der erklärt zuletzt auch die Naivität der popkulturellen Übernahme seiner Attribute – von der Pelzmütze der Roten Armee als Modeaccessoire bis zur „Russendisko“ unter Hammer und Sichel – oder die Wellen der „Ostalgie“, die über das Territorium des ehemaligen „Beitrittsgebiets“ hinweggehen.

Nur manchmal und sehr selten blitzt in der Alltagswelt etwas auf von der Realität eines tief inhumanen und totalitären Regimes. Zum Beispiel in Kriminalromanen, die in den letzten zehn Jahren erschienen sind und die Zersetzungsarbeit oder die Folter durch die Staatssicherheit zum Thema machen. Sogar die KPÖ kam schon ins Spiel, eine der ältesten, politisch bedeutungslosesten und reichsten kommunistischen Parteien, die für den Vermögenstransfer eine wichtige Rolle gespielt hat, nachdem das rote Imperium nicht mit einem Krach, sondern mit einem Winseln zugrunde gegangen war.