© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/17 / 03. November 2017

„Mehl sollt ihr fahren“
Markus Pöhlmanns Habilitationsschrift über die Entwicklung der deutschen Panzerwaffe von 1890 bis 1945
Dag Krienen

Gemäß den Erinnerungen des deutschen Panzergenerals Heinz Guderian hatte dieser als Hauptmann 1925 nach einer Truppenübung, bei der ein Einsatz von Panzern simuliert worden war – den Besitz echter Panzer untersagte damals der Versailler Vertrag –, seine Hoffnung zum Ausdruck gebracht, daß bald die Kraftfahrtruppe der Reichswehr in eine Kraftfahrkampftruppe umgewandelt werden würde. Der damalige Inspekteur der Kraftfahrtruppen, Generalmajor von Natzmer, bemerkte dazu nur: „Zum Teufel mit der Kampftruppe! Mehl sollt ihr fahren!“ Aus den „Mehlfahrern“ von 1925 entwickelte sich dennoch die erste zu einer selbständigen operativen Kriegführung befähigte Panzertruppe der Welt.

Der am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (dem ehemaligen Militärgeschichtlichen Forschungsamt) in Potsdam beschäftigte Historiker Markus Pöhlmann hat 2016 eine Habilitationsschrift vorgelegt, die alle wesentlichen Elemente der Geschichte des Waffensystems „Panzer“ in Deutschland von 1890 bis 1945 integriert: die Entwicklung des militärischen Denkens über seine Einsatzmöglichkeiten, seine technische Entwicklung und industrielle Herstellung, seine tatsächliche Verwendung und schließlich auch seine Verwendung als öffentliches Symbol. Die vier zentralen Kapitel des Buches beschäftigen sich mit der Vorgeschichte des Panzers bis 1914, sein Debüt im Ersten Weltkrieg, der Entwicklung in der Zwischenkriegszeit und schließlich der im Zweiten Weltkrieg.

Das Buch ist keine leichte Lektüre. Es setzt historisches Grundwissen voraus und widmet sich unvermeidlich auch eher fachhistorischen Fragen. Pöhlmann vermag es aber, auch dem Leser ohne Spezialwissen wesentliche Einsichten zu vermitteln. Im Zentrum der Darstellung steht ein Lernprozeß. Die Militärs mußten in einer Zeit, in der zukünftige technische Entwicklungen nur sehr schwer abzuschätzen waren, erst einmal lernen, welche technischen und militärischen Möglichkeiten gepanzerte Gefechtsfahrzeuge in Zukunft überhaupt besitzen würden und welche taktischen und operativen Möglichkeiten bei ihrer Verwendung sich daraus ergaben. 

Hatten die deutschen Militärs im Ersten Weltkrieg aufgrund der zunächst recht kümmerlichen Ergebnisse des Einsatzes alliierter Tanks bis Ende 1917 der eigenen Panzerrüstung eine zu geringe Priorität eingeräumt, wurden sie durch die Angriffe der Ententemächte 1918 und das Panzerverbot im Versailler Vertrag eines Besseren belehrt. In der Reichswehr begann nun ein intensives Nachdenken über eine mögliche Verwendung gepanzerter Fahrzeuge im Rahmen des „Gefechts der verbundenen Waffen“, das sich zunächst an der ausländischen Militärpublizistik orientierte, aber auch erste praktische Erfahrungen mit Hilfe von Panzerattrappen sammelte. 

Für die Deutschen trug das neue Waffensystem eine besondere Verheißung: Die Überwindung des Material- und Stellungskrieges durch einen neuen taktischen und operativen Bewegungskrieg, das heißt jene Art der Kriegsführung, bei der sich die deutschen Militärs ihren Gegnern traditionell als überlegen betrachteten. Die Entwicklung einer entsprechenden Einsatzdoktrin und die Vorbereitungen zum Aufbau einer zweckdienlich gegliederten Panzertruppe wurden deshalb ab Ende der zwanziger Jahre konsequent verfolgt und letzteres ab 1935 auch offen durchgeführt. 

Umstritten blieb, inwieweit die neue Panzertruppe tatsächlich zu einer operativen Entscheidungssuche in der Lage sein würde, die eine schnelle Feldzugsentscheidung herbeiführte. Zwar traten die Deutschen 1939 nicht mit einer speziell vorbereiteten Blitzkriegsstragie in den Krieg ein, wohl aber mit einer „Blitzkriegsdoktrin“ auf taktischer und operativer Ebene, auch wenn diese noch nicht so endgültig ausformuliert und so benannt worden war. 

Angewandt gegen Gegner, die sich noch am Kriegsbild des Ersten Weltkrieges orientierten, gelangen den deutschen Panzerdivisionen trotz erheblicher Ausstattungslücken und in Panzerung und Bewaffnung den Feindmächten unterlegenen Panzern in Polen 1939 und im Westfeldzug 1940 überwältigende Siege. Die Verlierer von 1918 hatten wesentlich gründlicher gelernt als die Sieger. 

Eine sichere Siegesformel hatten sie aber nicht gefunden. Auch wenn die deutschen Panzer in den ersten Monaten des Rußlandfeldzuges 1941 nochmals große Erfolge erzielten, konnten sie im weiten „Ostraum“ die Kriegsentscheidung gegen einen erstaunlich regenerationsfähigen Feind nicht mehr erzwingen. Ende 1942 mußte sich die Wehrmacht von tiefen Panzervorstößen und von der operativen Panzerverwendung im großen Stil verabschieden. Die Schlacht von Kursk entwickelte sich 1943 zur „rollenden Materialabnutzungsschlacht“. Den deutschen Panzerverbänden gelang auch danach zwar noch gelegentlich die Vernichtung feindlicher Angriffsspitzen durch ein „Schlagen aus der Nachhand“. Doch angesichts der wachsenden materiellen Übermacht ihrer Gegner mußten die Panzer immer mehr als bloße „Feuerwehr“ eingesetzt werden, die der Infanterie an bedrohten Frontabschnitten zur Hilfe kam, um anschließend zum nächsten Brandherd geschickt zu werden. 

Kaum strategischer Einsatz mehr zum Ende des Krieges

Die Panzerrüstung, die rein zahlenmäßig bis Ende 1944 neue Rekorde erreichte und qualitativ eine Reihe von Spitzenprodukten hervorbrachte, verschob sich von den mit einem Drehturm bewehrten Kampfpanzern zu den besonders zur defensiven Panzerabwehr befähigten Typen wie dem Sturmgeschütz und diversen Jagdpanzern. Das „Auftreten bemerkenswerter Endphasen-Hightech“ fiel jedoch mit einer zunehmenden „Entmotorisierung“ der breiten Masse des Heeres zusammen. Als die Waffentechnik für einen perfekten operativen Panzerkrieg endlich bereitstand, war ein solcher für die Wehrmacht nur noch ein ferner Traum. Die Realität von 1944/45 sah anders aus: Immer hastiger neu aufgestellte oder „aufgefrischte“, immer stärker nur improvisiert ausgerüstete, immer schlechter ausgebildete und immer schneller verschleißende mechanisierte Verbände mußten gegen einen immer übermächtiger werdenden Gegner antreten.

Markus Pöhlmann: Der Panzer und die Mechanisierung des Krieges. Eine deutsche Geschichte 1890 bis 1945. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2016, gebunden, 611 Seiten, 44,90 Euro