© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/17 / 03. November 2017

Zeitreise mit Funken, Rauch und Knall
Sportschützen: Das Schwarzpulverschießen mit Vorderladerwaffen erfreut sich zunehmender Beliebtheit
Karl-Heinz Schuck

Warum wenden sich Sportschützen freiwillig einer Technologie zu, die seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert völlig überholt ist? Diese Frage drängt sich auf, wenn man an Schwarzpulver und Vorderlader denkt. Es gibt ja schließlich Waffen, die weitgehend automatisch funktionieren und dabei eine hohe Schußfolge mit hoher Präzision ins Ziel bringen; die kompatibel mit allerlei modernen Hilfsmitteln sind, wie beispielsweise Zielfernrohren. Bei denen alles in eine industriell gefertigte und genormte Patrone gepackt ist und Treibladung, Geschoß und Anzünder nicht voneinander getrennte einzelne Komponenten sind, die der Schütze nacheinander zusammenbringen muß.

Die Ladeprozedur wirkt auf einige meditativ

Dennoch wird der Schritt zurück zum Ursprung, als bewußter Gegensatz zum vorgenannten „schneller, höher, weiter“, seit den sibziger Jahren immer beliebter. Die nostalgische Disziplin läßt Geschichte durch den Schießstand ziehen. Den Schützen geht es dabei auch um den Wechsel zwischen Spannung und Entspannung. Das Schießen mit Vorderladerwaffen erfordert konzentriertes, mehrschrittiges Arbeiten. Das Pulver muß abgemessen und eingefüllt, Kugel und Schußpflaster zur Dämmung müssen angesetzt und mit dem Ladestock den Lauf hinuntergestoßen und dann das Zündmittel aufgebracht werden – ein oft als meditative Übung beschriebener Vorgang. Regelmäßig wird hier mit verschiedenen Ladungen, Dämmstoffen und Geschoßformen experimentiert. 

Dabei besteht immer eine kleine Unsicherheit, ob es zu einer Zündung kommt – manchmal verzögert sie sich oder bleibt auch ganz aus. In der Regel verläßt die Kugel jedoch den Lauf, und bei einem erstaunlich geringen Rückschlag läßt sich eine gute Genauigkeit im Ziel erreichen. Man kann sagen, daß die Schwarzpulverwaffen ihren modernen Nachfolgern auf kürzere Distanzen in der Genauigkeit sogar fast ebenbürtig sind.

Die theoretisch mögliche Schußfolge wird mit fünf pro Minute angegeben, aber unter idealen Bedingungen. Realistisch waren zwei bis drei Schuß zu Beginn des Gefechts und einer pro Minute im Verlauf. Auch heute wird dieser Wert kaum erreicht, vor allem weil der moderne Sportschütze fern der Schlacht die hohe Verschmutzung mit Pulverresten öfter bereinigt. Doch nicht nur sportlich werden die historischen Waffen eingesetzt. Sie sind auch Bestandteil von Geschichtsvorführungen und szenischen Darstellungen, die auch im angelsächsischen Raum als sogenanntes „Reenactment“ sehr populär sind.

Einschüssige Vorderladerwaffen können ab 18 Jahren frei erworben und besessen werden, soweit sie vor dem 1. Januar 1871 entwickelt worden sind, es also reale Vorbilder gibt. Für mehrschüssige Varianten ist, wie für andere Schußwaffen, eine Waffenbesitzkarte erforderlich.

Dennoch hat der Gesetzgeber eine Hürde eingebaut: Möchte man das benötigte Schwarzpulver erwerben, so ist zunächst ein spezieller Lehrgang zu besuchen und eine Prüfung abzulegen. Voraussetzung für einen solchen Kurs ist eine Unbedenklichkeitsbescheinigung, die von der für Waffenbesitz zuständigen Behörde ausgestellt wird. Nach erfolgreichem Kursbesuch kann dann eine entsprechende Erlaubnis ausgestellt werden. Insgesamt muß hier mit Kosten von etwa 200 Euro gerechnet werden. Und man muß sich auf Wartezeiten einstellen, denn die Lehrgangsplätze sind begehrt und oft lange im voraus belegt. Auch dies ein Indiz für die Beliebtheit der Schwarzpulverwaffen, denen wir viele heute gebräuchliche Redensarten verdanken: „Lunte riechen“ geht auf die frühen Zündlunten zurück, die mit Chemikalien getränkt waren. „Etwas auf der Pfanne haben“ bezieht sich auf das Pulver, das bei Steinschloßwaffen auf die Zündpfanne gestreut wurde und „an den Hut stecken“ meint das  Papier zur Verdämmung, welches Musketiere an der Kopfbedeckung mit sich führten.

In Zeiten jeglichen technischen Schnickschnacks könnte ein Motto, das den Spaß beim Schießen mit Vorderladern beschreibt, heißen: Steinschloß statt Laserzielgerät.