© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/17 / 10. November 2017

Auch mal ein Nein aushalten können
Lobby für kinderreiche Familien: Verband tagt in Köln
Jürgen Liminski

Der Samstag ist Familienzeit. Papa ist in der Regel zu Hause, Schule findet nicht statt, man kann in Ruhe gemeinsam und ausgiebig frühstücken. Wer an solch einem Morgen mit zwei, drei oder mehr Kindern zu einem Kongreß fährt, der hat hohe Erwartungen. Die rund hundert Teilnehmer (Kinder nicht mitgezählt) des Vierten Familienkongresses des Verbandes kinderreicher Familien wurden nicht enttäuscht. Sie bekamen in den Räumen der Diakonie Michaelshoven in Köln  von dem Verband ein Programm geboten, das sowohl praktische Tips für den Alltag und die Erziehung enthielt als auch ein großes Paket Hoffnung für die an Familienpolitik Interessierten und deshalb nicht selten von ihr Frustrierten. 

Die Vorsitzende des Verbands, Elisabeth Müller, selbst Mutter von sechs Kindern, begrüßte gemeinsam mit Jürgen Wüst, dem Vertreter der kooperierenden Karl-Kübel-Stiftung, die Teilnehmer und erinnerte auch im Verlauf der Tagung an die Forderungen der Kinderreichen an die im Moment sondierende Politik: Finanzierbarer Wohnraum durch ein Baukindergeld, Erhöhung der Kinderfreibeträge und Einführung der „Kinderrente“, so wie es namhafte Ökonomen, etwa Hans-Werner Sinn, und auch das Bundesverfassungsgericht schon seit Jahren anmahnen, weil Eltern bereits einen „generativen Beitrag“ leisteten, wie es im Pflegeurteil von 2001 heißt. Ferner Unterstützung bei der Bildung durch Erlaß der BaFöG-Rückzahlung bei der Geburt des dritten Kindes, eine Familienkarte ab dem dritten Kind, so wie es in anderen Ländern Europas üblich ist. 

Wer wirklich mehr Kinder in Deutschland haben will, der sollte den Kinderwunsch fördern und nicht durch die „strukturelle Rücksichtslosigkeit“ (Franz Xaver Kaufmann) des Systems ersticken lassen. 30 Prozent der Zwei-Kind-Familien hätten gern ein drittes Kind, aber nur zehn Prozent davon verwirklichen diesen Wunsch. 

Wie nützlich und wichtig kinderreiche Familien für die Gesellschaft sind, stellte der Bericht von Professor Axel Plünnecke vom Institut der Deutschen Wirtschaft über die Studie „Mehrwert Mehrkindfamilie“ heraus (JF 38/17). Es geht deshalb bei Hilfen für diese Familien oder den Forderungen des Verbandes nicht um Almosen, sondern um eine Investition in die Zukunft der Gesellschaft. Die Politik hat die Ernsthaftigkeit dieser Forderungen und die Bedeutung des Verbands offenbar erkannt – nicht zuletzt wegen zahlreicher Veröffentlichungen, Auszeichnungen und auch Studien, die vom Verband angestoßen wurden. Man ist im Gespräch, und man kann sagen, hier ist dank des nachhaltigen Einsatzes des ehrenamtlich arbeitenden Vorstands unter Leitung von Elisabeth Müller eine Lobby für die Kinderreichen entstanden. Wie wirksam diese Lobby in den nächsten Jahren sein kann, hängt freilich auch von dem guten Willen der Politik ab. Darüber wird das Ergebnis der Jamaika-Sondierungen schon erste Aufschlüsse liefern. 

Die Gesellschaftspolitik ist das eine, der Alltag das andere. Auch hier bekamen die Teilnehmer ermunternde Informationen. Der Bestsellerautor, Erziehungswissenschaftler und Paartherapeut Albert Wunsch präsentierte Forschungsergebnisse zum Titel der Tagung „Was Familien stark macht.“ Das sei zuerst das Elternpaar selbst. „Starke Paare sind das Rückgrat starker Familien“. Ein gesundes Selbstbewußtsein, die „Ich-Stärke“ entstehe sodann durch viel Bestätigung in Gestik und Sprache, aber auch durch die Bildung einer Frustrationstoleranz, Kinder müßten auch mal ein Nein hören und aushalten. Sonst könnten sie nicht lernen zu warten, rücksichtsvoll zu sein oder auch ausdauernd. Ausdauer aber braucht man beim Lernen, bei der Arbeit, bei der Forschung oder auch in der Pflege von Beziehungen. Wunsch brachte eine Reihe Beispiele, so daß die Eltern auch für den Alltag einiges mit nach Hause nehmen konnten. Manches wird sicher auch Eingang finden auf der Liste, die der Verband für Ratsuchende erstellt und die das Beraterteam ständig erweitert. Diese Beratungsfunktion erfreut sich, wie man unter den Teilnehmern hören konnte, zunehmender Beliebtheit. 

Die konkrete, pragmatische Alltagstauglichkeit war auch Leitmotiv bei den Workshops „Konflikt und Kommunikation“, „Optimierung versus Gelassenheit“, „Kreativquelle Kinder“ oder „Organisationsaufgabe Familienhaushalt“, sowie bei dem Informationsstand „Versicherungsschutz für Mehrkindfamilien“ und dem eintägigen, parallel verlaufenden Tageskurs „Erste Hilfe bei Kindernotfällen“. Eine besondere Ausprägung der täglichen und praktischen Beratungsfunktion schlägt sich nieder in dem Patenprojekt „Hand in Hand“, das dauerhafte Wahlverwandtschaften für kinderreiche Familien stiftet. 

Es ist diese Kombination von gesellschaftspolitischer Lobby-Arbeit und praktischer Hilfe im Alltag, die den Verband und seine Kongresse prägt und ihn attraktiv macht. Mittlerweile hat er seit seiner Gründung vor sechs Jahren rund 5.000 Mitglieder (ab drei Kinder) und zahlreiche kooptierte Mitglieder. Solange der Vorstand diese Doppelfunktion weiterverfolgt und sich nicht durch kleinkarierte Vereinsmeier beirren läßt, dürfte ihm der weitere Erfolg gewiß sein.