© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/17 / 10. November 2017

Ländersache: Bayern
Weißblaues Konstantinopel
Paul Rosen

Es gibt tragische Momente im Leben, die in der Rückschau Sätze mit einem wehmütigen „Hätte ich doch …“ beginnen lassen. Bei Horst Seehofer war dieser Moment am vergangenen Wochenende da, als er den in Erlangen tagenden Parteinachwuchs wissen ließ, er befinde sich in Berlin bei „historisch bedeutsamen Verhandlungen“ und könne nicht ins Frankenland zur Jungen Union kommen. 

Das war ein entscheidender Fehler, der nächste große Schritt zum Ende einer Politiker-Karriere. Vieles in der CSU erinnert an 2007, als Edmund Stoiber zu früh die Fraktionsklausur der Landtagsabgeordneten in Kreuth verließ, worauf seine lieben Parteifreunde die lange Winternacht nutzten, um Stoibers Sturz zu verabreden. Nicht anders wird es Seehofer bald ergehen. Den eigenen Nachwuchs im Stich zu lassen, um lieber in Berlin „Balkon royal“ zu spielen und mit dem Grünen Jürgen Trittin, einem alten CSU-Feindbild, um die Jamaika-Koalition zu feilschen, ließ die CSU-Jugend nicht auf sich sitzen und verabschiedete flugs eine „Erlanger Erklärung“. Darin fordert sie nicht weniger als den Rücktritt des Ministerpräsidenten. Es war erwartbar, daß Jungpolitiker, denen Spötter eine angeborene Bügelfalte attestieren oder sie als Kinder im Anzug belächeln, diese Wutreaktion zeigen würden. 

Die jungen Leute hatten sich im Wahlkampf ins Zeug gelegt, was angesichts der Drehungen Seehofers im Verhältnis zur „Wir schaffen das“-Kanzlerin Angela Merkel schwer genug war. Dafür hatten sie einen persönlichen Dank des Chefs erwartet. Daß Seehofer die anschwellende Empörung nicht bemerkte und in Berlin verharrte, zeigt eine Entfremdung von Gefolgschaft und Volk, wie man sie früher am byzantinischen Kaiserhof in Konstantinopel vorfand.  

Der bayerische Hof funktioniert nach festen, althergebrachten Regeln. Der Ministerpräsident und Parteichef stützt seine Macht auf die zehn CSU-Bezirksverbände: Augsburg, Mittelfranken, München, Niederbayern, Nürnberg, Oberbayern, Oberfranken, Oberpfalz, Schwaben und Unterfranken. Hier hätte dem 68jährigen Seehofer schon vor einiger Zeit dämmern müssen, daß nach dem für CSU-Verhältnisse katastrophalen Ergebnis der Bundestagswahl von 38,8 Prozent seine Unterstützerszene schrumpft. Das Stimmungsbild aus der Oberpfalz, aus Unterfranken und aus München ist klar: Seehofer soll gehen. Man weiß natürlich, daß Finanzminister Markus Söder und seine Freunde hinter den Aktionen stecken. Söder trat zwar in Erlangen bei der Jungen Union auf, war aber so klug, den Rücktritt des Chefs nicht anzumahnen. Denn der Königsmörder kommt nie auf den Thron. 

So wie es aussieht, kann Söder warten, da die Stimmung im wichtigsten und mitgliederstärksten Bezirk Oberbayern auch gegen Seehofer kippt. Die dortige Vorsitzende Ilse Aigner, selbst als Nachfolgerin gehandelt, hat ihre Truppen nicht mehr im Griff, die auf Seehofers Rücktritt drängen. Damit sinkt aber Aigners Stern. Die wachsende Nervosität ist verständlich. Die jüngste Umfrage läßt einen Absturz bei der Landtagswahl im nächsten Jahr auf 37 Prozent befürchten. 2013 hatte die CSU 47,7 Prozent erhalten. Auch anderen Aspiranten wie Innenminister Joachim Herrmann oder dem Europaabgeordneten Manfred Weber wird nicht zugetraut, das Blatt zu wenden. Söder wird dies zugetraut.