© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/17 / 10. November 2017

Männlich, jung, muslimisch
Asylkrise: Die aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamts zeichnen ein dramatisches Bild der Lage
Peter Möller

Die seit mehr als zwei Jahren andauernde Asylkrise ist endgültig ein Fall für die Statistik geworden. Dieser Eindruck stellte sich in der vergangenen Woche angesichts einer Reihe von Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamts in Wiesbaden ein. Die Zahlen der Statistiker machen die ganze Dramatik der Flüchtlingskrise deutlich: Demnach waren in Deutschland Ende vergangenen Jahres 1,6 Millionen Asylbewerber, Bürgerkriegsflüchtlinge und ausreisepflichtige Ausländer registriert – die von der Behörde einem allgemeinen Trend folgend pauschal als „Schutzsuchende“ bezeichnet werden. 

„Gerichte können Arbeit nicht zeitnah bewältigen“

Der Anteil dieser Personengruppe an den Ausländern in Deutschland beträgt mittlerweile 16 Prozent. Das Ausmaß der Asylkrise der vergangenen Jahre wird bei einem Vergleich mit den Zahlen von 2014 besonders deutlich. Demnach stieg die Zahl der Asylbewerber und Flüchtlinge in den zwei Jahren bis Dezember 2016 um 851.000 Personen (plus 113 Prozent). Hinzu kommen laut des Statistischen Bundesamtes 392.000 Ausländer, deren Staus sich auf Basis der Angaben des Ausländerzentralregisters derzeit nicht eindeutig bestimmen lasse. 

Etwa die Hälfte der 1,6 Millionen „Schutzsuchenden“ kam nach Angaben der Behörde aus drei Herkunftsländern: Demnach stellten Syrer mit 455.000 die mit Abstand größte Gruppe, gefolgt von Afghanen (191.000) und 156.000 Menschen aus dem Irak. Die meisten Personen mit offenem Schutzstatus, also deren Asylverfahren noch nicht abgeschlossen ist, stammen aus Afghanistan (129.000). Die Mehrheit der Ausländer mit einer befristeten Anerkennung kommt aus Syrien (347.000).

Interessant ist ein Blick auf die Zusammensetzung der Einwanderer: So lag der Anteil der männlichen Personen unter den Asylbewerbern und Flüchtlingen bei 64 Prozent. Zum Vergleich: 49 Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland und 53 Prozent der Ausländer sind männlich. Zudem sind die „Neuankömmlinge“ nach Angaben der Statistiker mit einem Alter von durchschnittlich 29,4 Jahren deutlich jünger. Das Durchschnittsalter der ausländischen Bevölkerung lag dagegen Mitte 2016 bei 37,6 Jahren, das Durchschnittsalter der Bevölkerung insgesamt bei 44,2 Jahren.

 Eine weitere Statistik, die in der vergangenen Woche veröffentlicht wurde, zeigt die finanziellen Folgen des drastischen Anstiegs der Zahl der Asylbewerber und Flüchtlinge. Demnach haben Bund, Länder und Kommunen in den Jahren 2015 und 2016 zusammen fast 15 Milliarden Euro für Transfers und Hilfen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ausgegeben. Darunter fallen die Kosten für die Unterbringung sowie finanzielle Zuwendungen für Asylbewerber, deren Verfahren noch nicht abgeschlossen ist. 

Nach Angaben der Statistiker erhielten Ende 2016 insgesamt 728.000 Personen aus 443.000 Familien und Haushalten Asylbewerberleistungen. Gut ein Drittel der Ausgaben entfiel demnach auf Geldleistungen, etwa 15 Prozent auf Gesundheitsleistungen für Asylbewerber. Ungefähr die Hälfte, wurde für andere Sachleistungen wie etwa Unterkunft und Verpflegung aufgebracht. In Aufnahmelagern und Sammelunterkünften lebten rund 60 Prozent der betroffenen Personen, 40 Prozent waren in kommunalen Wohnungen untergebracht. Ein Blick in die Statistik vor der großen Flüchtlingswelle und der Grenzöffnung im Sommer 2015 macht die Steigerung des Finanzbedarfs deutlich: So hatten die entsprechenden Ausgaben in den Jahren 2013 und 2014 insgesamt „nur“ 3,9 Milliarden Euro betragen.

Angesichts der anhaltend hohen Zahl der Asylverfahren spitzt sich auch die Lage an den Verwaltungsgerichten immer weiter zu. So habe sich die Zahl der dort anhängigen Verfahren binnen eines Jahres fast verfünffacht, heißt es in der Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag. Demnach verzeichneten die Gerichte Mitte dieses Jahres mehr als 320.000 Verfahren. Ein Jahr zuvor waren es knapp 69.000. 

„Die Verwaltungsgerichte sind so stark belastet, daß sich die Arbeit mit dem gegenwärtigen Personal nicht zeitnah bewältigen läßt“, sagte der Vorsitzende des niedersächsischen Bundes Deutscher Verwaltungsrichter, Erich Müller-Fritzsche, der Neuen Osnabrücker Zeitung. Auch die von der Politik angekündigte Aufstockung beim Personal werde dafür nicht reichen.

Für Aufsehen sorgte unterdessen eine Meldung der Bild-Zeitung, nach der rund 30.000 Asylbewerber untergetaucht seien. Die Zeitung berief sich bei ihren Berechnungen ebenfalls auf das Ausländerzentralregister. Demnach seien dort Ende 2016 rund 54.000 Personen als ausreisepflichtig gemeldet gewesen. Jedoch hätten nur rund 23.000 von ihnen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bezogen. Das Bundesinnenministerium wies die Darstellung der Zeitung zurück. Die Zahl der 30.000 spurlos Verschwunden gehe von einer „unzutreffenden Berechnung“ aus, teilte das Ministerium mit. Allerdings sei nicht in jedem Fall auszuschließen, daß ein ausreisepflichtiger Ausländer ohne Kenntnis der Behörden das Land verlasse oder untertauche und weiter im Ausländerzentralregister gelistet sei.