© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/17 / 10. November 2017

„Die Partei wird langsam erwachsen“
AfD: Der Berliner Landesverband beendet die Doppelspitze / Bundesvorsitzender Jörg Meuthen rückt für Beatrix von Storch in Brüssel nach
Christian Vollradt

Damit hatte niemand so richtig gerechnet: Berlins AfD fehlt künftig die Doppelspitze. Auf dem Landesparteitag am vergangenen Samstag stimmten die Delegierten mehrheitlich für einen Antrag, der nur noch einen Landesvorsitzenden oder eine Landesvorsitzende vorsieht. 

Das kam sowohl für Funktionäre der Partei wie auch Beobachter überraschend. Denn eigentlich gilt die AfD-Basis als ausgesprochen erpicht darauf, nie zuviel Macht in zu wenige Hände zu legen. Nun aber wurde Georg Pazderski zum alleinigen Landeschef (wieder-)gewählt. Zahlreiche Medien interpretierten dies mit dem gleichlautenden Dreh, daß die bisherige Co-Vorsitzende Beatrix von Storch „entmachtet“ worden sei. Dem wurde in Parteikreisen widersprochen. Denn es war von Storch selbst, die Pazderski offensichtlich absprachegemäß für die Wahl zum Vorsitzenden vorgeschlagen hatte, nachdem das Institut der Doppelspitze zuvor von den Delegierten gekippt worden war. Wer also auf eine Kampfkandidatur spekuliert hatte, wurde enttäuscht. Bei der Wahl der Stellvertretenden Landesvorsitzenden erhielt von Storch das beste Ergebnis. 

Insgesamt bezeichneten Teilnehmer den Parteitag als ausgesprochen harmonisch. Es habe sich gezeigt, daß die AfD „langsam erwachsen wird“, meinte Pazderski im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. „Wir müssen künftig stärker in die Gesellschaft hineinwirken“, hatte er seine Parteifreunde aufgefordert: „Wir müssen in den Kiezen, Schulen, Fußballklubs präsenter sein, damit wir mehr Leute werden.“ 

Die Kehrseite dessen bekam Pazderski unmittelbar danach zu spüren, als die Berliner Zeitung am Wochenende die vor rund einem halben Jahr aufgetretenen Turbulenzen im Förderverein der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen öffentlich machte. Das Blatt berichtete vom damaligen Rücktritt der Schriftführerin des Vereins, Christine Sauerbaum-Thieme, nachdem Pazderski dort aufgenommen worden war. „Wenn Mitglieder einer rechtspopulistischen Partei in einen Verein wie den Förderverein der Gedenkstätte eintreten wollen, verbinden sie damit auch eine Realisierung ihrer politischen Arbeit, wollen sich ein ‘bürgerliches’ Antlitz geben“, zitierte die Zeitung eine Äußerung Sauerbaum-Thiemes. 

Der Vorsitzende des Fördervereins der Stasi-Gedenkstätte, Jörg Kürschner, wies solche Verschwörungstheorien vehement zurück. „Herr Pazderski ist ein Gewinn für den Förderverein, als Mensch und als Politiker. Ihm opportunistische oder parteitaktische Gründe für seinen Beitritt zu unterstellen, ist absurd“, betonte Kürschner. Der sechsköpfige Vereinsvorstand habe im Juni Pazderski mit deutlicher Mehrheit von fünf zu eins aufgenommen und damit dem Votum der außerordentlichen Mitgliederversammlung im Mai entsprochen. Auch Pazderski selbst wies die Unterstellung zurück, sein Eintritt sei Teil eines Plans zur Unterwanderung. „Ich bin nicht beigetreten, um mir ein ‘bürgerliches Antlitz zu geben’ – das habe ich auch so –, sondern weil ich das Anliegen des Vereins teile: die Erinnerung an das DDR-Unrecht wachzuhalten“, unterstrich er gegenüber der JF. 

AfD-Chef Meuthen       wechselt ins EU-Parlament

Kürschner, der seit der Vereinsgründung als Vorsitzender amtiert, nannte es zudem einen durchsichtigen Versuch, die Gedenkstätte, die sich auch der Präventionsarbeit gegen Linksextremismus bei Jugendlichen verschrieben hat (JF 37/17), in eine rechtsradikale Ecke zu drängen. „Demokrat ist nur, wer Mehrheiten akzeptiert und nicht ein halbes Jahr nach verlorenen Abstimmungen nachtritt.“ 

Unterdessen gab der AfD-Bundesvorsitzende Jörg Meuthen am Dienstag in Stuttgart bekannt, daß er ins EU-Parlament nach Straßburg beziehungsweise Brüssel wechseln wird. Er rückt für Beatrix von Storch nach, die im September in den Bundestag eingezogen ist. Ihn reize die Möglichkeit, dort den Grundstein für eine starke AfD nach der Europawahl 2019 zu legen. Euro-Kritik sei die „Ur-DNA“ der AfD, betonte der frühere Volkswirtschaftsprofessor. Meuthen bleibt laut eigener Aussage für eine noch unbestimmte Übergangszeit einfaches Mitglied des Landtags von Baden-Württemberg. Sein Nachfolger als Fraktionschef soll Bernd Gögel werden.Hätte Meuthen auf das Europamandat verzichtet, wäre Bundesvorstandsmitglied Dirk Driesang nachgerückt. Enttäuscht über die Entscheidung, kündigte er seinen Rückzug aus der aktiven Politik an.