© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/17 / 10. November 2017

Pankraz,
Y. Gyasi und das Wort als Sklavenhalter

Jeder hat seine je eigenen Sorgen. So die afroamerikanische, in Kalifornien lebende  Schriftstellerin Yaa Gyasi (28), hier und da bekannt geworden durch ihr Buch „Homegoing“ („Heimkehren“), welche jetzt in einem Interview mit der Berliner tageszeitung bewegt Klage darüber führte, daß sie gar nicht als Schriftstellerin ernst genommen werde, sondern immer nur als schwarze Freiheitskämpferin. Ihr schwarzer Lebenshintergrund sei das einzige, was die Leser interessiere, und das empfinde sie als Diskriminierung und Ausgrenzung aus dem literarischen Leben.

„Wenn weiße Schriftsteller für ihre Werke ausgezeichnet werden“, sagt sie, „dann haben sie einfach über Gott und die Welt geschrieben, schwarze Schriftsteller hingegen gelten als preisverdächtig nur dann, wenn sie in ihren Büchern über die historische Erfahrung der Sklaverei schreiben (…) Idealerweise sollten wir eines Tages aber dahin kommen, daß schwarze Autoren über was auch immer schreiben können und genauso respektiert werden wie weiße. Daß man schreiben kann, worüber auch immer, und daß man von schwarzen Autoren nicht nur Geschichten über Rasse oder über die Sklaverei erwartet.“

Pankraz fragt sich kopfschüttelnd, was für einen Begriff von Dichtung und Literatur Frau Gyasi eigentlich hat, um solchen Schwachsinn von sich zu geben. Gute Literatur besteht ja gerade nicht aus Wörtern über „dies und das“, die man irgendwie hinschreibt, um „preiswürdig“ zu werden. Sie setzt voraus, daß der Autor in ihr gewissermaßen sein Herzblut verströmt, daß er wirklich etwas zu sagen hat, was nur er weiß und bezeugen kann. Und er muß sich dazu im vollsten Sinne der Wendung mit der Sprache verschwistern, muß sie zu seinem Zeugen und Anwalt machen, was immer auch passieren mag.


Frau Gyasi, Tochter eines schwarzen, 1991 aus Ghana in die USA eingewanderten Linguisten der kalifornischen Universität Berkeley, scheint von alledem keine Ahnung zu haben. Sie wollte offenbar von Anfang an Schriftstellerin werden, absolvierte in Stanford das Fach „Kreatives Schreiben“ und wurde Magister des „Iowa Writer’s Workshop“. An sich wollte sie nach eigenem Zeugnis über nichts Besonderes schreiben, eben nur „über Gott und die Welt“, doch da brach unter den Kreativen die Antirassismus- und Sklaverei-Erinnerungswelle aus, und also hatte sie ihr Thema und schrieb „Homegoing“.

Es ist, wovon sich auch der deutsche Leser anhand der bei DuMont erschienenen Übersetzung überzeugen kann, ein sprachlich und gedanklich völlig unerhebliches, mit gängigen Phrasen angefülltes Buch, das einzig seiner medialen Aktualität wegen einige Aufmerksamkeit erregt. Frau Gyasi spürt das; statt aber in sich zu gehen und die eigene Befähigung für Literatur zu überprüfen, schiebt sie gleich wieder alles auf die bösen alten Weißen, die nun sogar beim Bücherschreiben eine Art von Sklaverei exekutierten. Wir, die Weißen, dürfen über alles schreiben, aber ihr, die Schwarzen, dürft nur über den Kampf gegen – reale wie mediale – Sklaverei schreiben!

Die Methode ist zu billig, um sich darüber aufzuregen. Man sollte lieber der Frage nähertreten, ob nicht Literatur insgesamt die Menschen, die sich ihr verschreiben, die Autoren also, in eine äußerst reale, zudem sehr harte und schwer abzuschüttelnde Form von Sklaverei treibt; ob das anspruchsvolle Wort nicht der erbarmungsloseste Sklavenhalter ist, den man sich vorstellen kann. Große Schriftsteller, von Ovid bis Thomas Mann, haben es so gesehen; kein Sklave, der beim Pyramidenbau im alten Ägypten eingesetzt wurde, sei so versklavt gewesen wie die sprachmächtigen Autoren.

Ägyptische Pyramidensklaven mußten immerhin gut ernährt und bei Laune gehalten werden, damit sie ihrer harten Arbeit gewachsen waren. Und ihr Produkt, die fertige Pyramide, diente nicht nur dem darin bestatteten Pharao zum ewigen Ruhm, sondern auch jedem  ihrer Erbauer.

Im Falle des Dichters und Sprachmeisters ist das anders. Ob er für seine Produkte Geld erhält, ist nie wirklich sicher, hat mit der eigentlichen Sache nichts zu tun. Es gibt für den Sprachmeister auch keine echte „Freizeit“; der Kampf um das richtige Wort verfolgt ihn bis in seine innersten Träume und ist nie entschieden.


Keine Instanz vermag ein endgültiges Urteil darüber abzugeben, ob die Identität von Dichter und Wort erreicht ist, nicht einmal der Dichter selbst. Er bleibt Sklave des Wortes sein Leben lang, auch wenn er (siehe Friedrich Nietzsche, siehe Thomas Manns Roman „Dr. Faustus“) vor ihr bis in die „schöpferische“ Krankheit hinein flüchtet, während ihn der Beifall der Menge beziehungsweise der Kritik schon lange umtost und mit öffentlichem Lorbeer umrankt. Selbst dann, gerade dann bleibt die Partie unentschieden, und der Dichter weiß es und saugt daraus eher Bitterkeit denn Genugtuung.

Natürlich sind derlei Perspektiven auf einige wenige Elitetypen der Gattung „Autor“ beschränkt oder liefern gar lediglich das Idealbild dieser Gattung, das der Wirklichkeit als  Imperativ im Kantschen Sinne voranleuchtet. Viele auch gute  Autoren streben nicht die volle Identität mit dem Wort an, geben sich mit gefühlten neunzig oder auch fünfundsiebzig Prozent zufrieden. „Wer immer strebend sich bemüht,/  den können wir erlösen …“, singen am Ende von Goethes „Faust“ die Engel, und wenn es überhaupt einen Adressaten für diese schöne Verheißung gibt, dann sind es die guten Autoren, die die Sprache ernst nehmen.

Freilich wird ihre Anzahl immer kleiner – wen wundert’s im Zeichen von Internet, wo sich noch der dümmste Rüpel via Facebook, Twitter & Co. medial verewigen kann? Extra Hinweise wie bei Frau Yaa Gyasi, daß man doch zu der schwarzen, rassistisch verfolgten Minderheit gehöre und mit einer neuen Art von Sklaverei bedroht werde, obwohl man nur so werden möchte „wie die herrschenden Weißen“, braucht es da gar nicht mehr. Bloßes Vorzeigen von allgemeiner Dummheit und Dreistigkeit allein genügt allemal.