© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/17 / 10. November 2017

Eine Klammer der Nation
Deutsch-deutsche Historie: Zum 75. Geburtstag des Rundfunkjournalisten und Literaturkritikers Karl Corino
Detlef Kühn

Der Hörfunk-Journalist Karl Corino gehörte in der Zeit der deutschen Teilung zu dem – durchaus überschaubaren – Kreis von Multiplikatoren, die beiderseits der Grenze gehört wurden und damit eine wichtige Klammer für den Zusammenhalt der deutschen Nation darstellten.

Der 1942 in Franken geborene Corino, der als Sohn eines Landwirts – so wird berichtet – auch heute noch eine Kuh melken und Butter und Käse produzieren kann, absolvierte ein Studium der Germanistik, Philosophie und Altphilologie an verschiedenen westdeutschen Universitäten, das er 1969 in Tübingen mit einer Promotion über das Frühwerk des österreichischen Dichters Robert Musil abschloß. Über Musil hat er später noch mehrere Arbeiten veröffentlicht, darunter eine mit 2.000 Seiten äußerst umfangreiche Biographie, die heute als Standardwerk gilt. Die Neue Zürcher Zeitung lobte das 2003 bei Rowohlt erschienene Monumentalwerk als „Epochengemälde“. Corinos Wissen über Musil sei nach über dreißig Jahren Recherche „schlechthin konkurrenzlos“, meinte die Süddeutsche Zeitung. Als er 2014 für seine Forschungsarbeit die Ehrendoktorwürde der Universität Klagenfurt erhielt, würdigte der langjährige Leiter des Robert-Musil-Instituts, Klaus Amann, Corinos Biographie als „die maßgebende Grundlage für jede historische, biographische und literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Dichter und seinem Werk“.

1970 trat Karl Corino als Redakteur in die Literaturabteilung des Hessischen Rundfunks ein, deren Leitung er später übernahm. Von 1973 bis Ende 1990 gestaltete er hier allmonatlich eine Magazinsendung „Transit“, die sich grenzüberschreitend vor allem mit der kulturellen Entwicklung in der DDR beschäftigte. In dieser Zeit entwickelte sich Corino zu einem profunden Kenner der DDR-Literatur, die er als Teil der gesamten deutschsprachigen Literatur auch seinen Hörern im Westen nahebringen wollte. 

Gleichzeitig hielt er bei Reisen in die DDR auch persönlich Kontakt zu Schriftstellern und anderen Kulturschaffenden dort. Daß diese Aktivitäten bald auch das Interesse der DDR-Staatssicherheit an Corino und seinen Ostkontakten weckte, versteht sich von selbst. Aufwendige „Beschattung“ und Versuche der Bespitzelung waren die Folge, auch wenn das ganze Ausmaß dieser Bearbeitung erst nach der Wiedervereinigung in Gestalt einer dicken Akte deutlich wurde. Karl Corino war aber stets auf der Hut und bot dem MfS keine Angriffsmöglichkeit. Nach der Wende untersuchte er dann die Stasi-Verstrickungen Hermann Kants, des langjährigen einflußreichen Vorsitzenden des Schriftstellerverbandes der DDR, sowie des Schriftstellers Stephan Hermlin; die entsprechenden Bücher erschienen 1995 („Die Akte Kant. IM ‘Martin’, die Stasi und die Literatur in Ost und West“) und im Jahr darauf „Außen Marmor, innen Gips. Die Legenden des Stephan Hermlin“.

Bei Kant und Hermlin bewies Karl Corino, daß ihm auch investigativer Journalismus nicht fremd ist. Wie er etwa im Fall Hermlin mit kriminalistischem Spürsinn die zahlreichen Lebenslügen dieses Autors in seinen eitlen und opportunistischen Selbstdarstellungen aufblättert und entlarvt, ist nicht nur erhellend und für manche Leser wohl auch desillusionierend, sondern einfach ein großes Lesevergnügen.

Am 12. November vollendet Karl Corino sein 75. Lebensjahr.

Detlef Kühn war von 1972 bis 1991 Präsident des Gesamtdeutschen Instituts