© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/17 / 10. November 2017

Tribut an die Korrektheit
Neuverfilmung: „Mord im Orient-Express“ im Kino
Claus-M. Wolfschlag

Der „Mord im Orient-Express“ gehört zu den großen Klassikern der Kriminalliteratur. Agatha Christie veröffentlichte die Geschichte 1934. Viermal wurde sie verfilmt. Die bekannteste Verfilmung war auch die erste, 1974 mit Starbesetzung unter der Regie von Sidney Lumet. Auf eine US-amerikanische Fernsehfassung 2001 folgte 2010 eine düstere Neuauflage durch Philip Martin, die für den DVD-Vertrieb produziert wurde. Nun folgt die Nummer 4 durch Kenneth Branagh.

Neuverfilmungen bringen immer die Frage nach Sinn und Zweck mit sich. Bei „Mord im Orient-Express“ dürften Vermarktungsgründe die einzige Rolle gespielt haben. Die Erstverfilmung ist mittlerweile so alt, daß sie dem jüngeren Publikum nicht mehr präsent sein dürfte. Somit könnte eine erneute Kinofassung die Zielgruppe mit einem für sie weitgehend unbekannten Stoff ansprechen.

Stilistische Innovationen, die eine Neuverfilmung rechtfertigen könnten, sucht man in diesem immerhin noch solide abgedrehten Streifen vergebens. Dies zumal einige Passagen sehr ungünstig der Schnittschere zum Opfer gefallen scheinen. Allzu schnell und bisweilen etwas zu überraschend kommt Meisterdetektiv Hercule Poirot (Kenneth Branagh) manchen Geheimnissen der Zugreisenden auf die Schliche. In einigen Passagen wurde also ordentlich auf das Tempo gedrückt.

Die Schauspieler-Crew kann sich durchaus sehen lassen. Penélope Cruz gibt die christliche Asketin, Michelle Pfeiffer den Vamp. Statt Richard Widmark hat nun Johnny Depp die Rolle des zwielichtigen Geschäftsmannes Edward Ratchett übernommen, der während der Zugfahrt über den Balkan bedroht wird und schließlich einer Bluttat zum Opfer fällt. Depp spielt seine Rolle gut. Doch auch er kann die blutarme Verfilmung nicht wirklich retten.

Hinzu kommt, daß durch eine Veränderung des Stoffes dem „antirassistischen“ Zeitgeist Tribut gezollt werden mußte. Aus dem griechischen Arzt Constantine ist nun ein Dr. Arbuthnot (Leslie Odom jr.) geworden, der wegen seiner schwarzen Hautfarbe und der Beziehung zu einer jungen Weißen angefeindet wird. Überflüssig.