© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/17 / 10. November 2017

Vom fahrenden Schrott schier überrollt
Der mühsame Kampf von Polizei und Aufsichtsbehörden gegen die osteuropäischen Lkw-Billigflotten
Paul Leonhard

Von Aufbackwaren aus Frankreich und Polen über Biotomaten aus Spanien bis zu den Just-in-time-Zulieferungen für die deutsche Industrie: ohne spotbillige osteuropäische Fuhrunternehmer, die ihre Lkw-Flotten über die EU-Straßen jagen, wäre so manches Geschäftsmodell am Ende. Oft sind die Fahrzeuge monatelang unterwegs – es sei denn, sie geraten zufällig in eine Kontrolle der Verkehrspolizei oder der 240 Beamten des Bundesamtes für Güterverkehr. Doch die „Wahrscheinlichkeit eines Lastwagenfahrers, in eine Kontrolle zu geraten, liegt bei eins zu tausend“, heißt es bei der Deutschen Polizeigewerkschaft.

Es geht um die Entschärfung tickender Zeitbomben

Während deutsche Politiker und subventionsgierige Konzerne von einem „e-Highway 2050“ und autonom fahrenden Hightech-Lkw träumen (JF 24/17), sieht der Autobahnalltag anders aus: Kamen 2006 18,6 Prozent der Lkw aus Osteuropa, waren es zehn Jahre später schon ein Drittel – bei einer von 57 auf 69 Milliarden Kilometer gestiegenen Gesamtfahrleistung. Täglich warnen Radiosender vor Reifenresten, die Polizei berichtet von der „Entschärfung tickender Zeitbomben“, wenn osteuropäische Lkws wegen gravierender Mängel aus dem Verkehr gezogen wurden. Als die Polizeidirektion Oldenburg in diesem Jahr 73 Lastwagen und Sattelzüge auf der A1 in Richtung Hamburg kontrollierte, wurden 68 Prozent beanstandet. Mehr als der Hälfte der gestoppten Fahrzeuge wurde die Weiterfahrt untersagt.

Ein tschechischer Sattelschlepper war in einem so schlechten Zustand, daß der Fahrzeughalter nach einem Blick auf die Mängelliste den örtlichen Schrotthändler anrief. Bremer Polizisten bescheinigten einem in Slowenien zugelassenen Gespann 37 teils „äußerst gravierende Mängel“. Sogar die komplette Bremsanlage am Anhänger war nicht mehr funktionstüchtig. Materialbrüche, durchrostete Seitenschweller, abgerissene Zurrgurte auf Ladeflächen, gebrochene und eingerissene Längsträger, ausgeschlagene Traggelenke, aufgrund geringer Materialstärke leckende Ölwannen, bis auf den Metallmantel abgefahrene Reifen, defekte Bremsanlagen – „bei den technischen Mängeln fallen die osteuropäischen Wagen häufiger ins Auge“, klagt die Autobahnpolizei Braunschweig. Teilweise können die Kraftfahrer die Mängel aus eigener Kraft beheben, wie bei einem rumänischen Autotransporter, der nach dem Austausch von vier Reifen und der Reparatur der Bremsanlage weiterfahren durfte. Oft zieht die Polizei aber die Kennzeichen und Fahrzeugbriefe ein. Der Scania-Lastzug der Spedition Zurawski aus Frankenberg (Pommern), den der Islamist Anis Amri raubte und mit dem er dann den Berliner Weihnachtsmarktanschlag verübte, hatte nur 70.000 Kilometer auf dem Tacho. Ein Großteil der in Osteuropa zugelassenen Lkws ist oft fahrender Schrott.

Die von westeuropäischen Speditionen ausgemusterten Fahrzeuge werden vor allem von Fuhrunternehmern in der Ukraine, Weißrußland oder Bulgarien erworben und wieder auf deutsche Straßen geschickt. Der Konkurrenzdruck im Transportgewerbe ist hart – und geht zu Lasten der Verkehrssicherheit. Mehr als sechs Millionen Euro hat sich die EU das Projekt Asset-Road (Advanced, Safety, Support, Essential, Transport) kosten lassen, bei dem Hightech-Sensoren und Infrarotkameras die Lkw-Mängel auf der Autobahn erkennen sollten.

Ziel sollte es sein, Überladungen, abgefahrene Reifen und defekte Bremsen bei Lastwagen erkennen zu können, ohne in den Verkehr eingreifen zu müssen. Verstöße gegen die für den Schwerlastverkehr geltenden Bestimmungen sollten automatisch erfaßt und an ein Polizeifahrzeug auf einem nahen Parkplatz weitergeleitet werden. Ab Mai 2010 testete die Polizei für anderthalb Jahre auf auf der A8 bei Bad Aibling das System.

In Bayern, wo es 2016 etwa 18.000 Unfälle mit Beteiligung des Schwerverkehrs gegeben hat, wird eine einfachere Variante favorisiert. Wie in Österreich sollen ab 2018 stationäre Kontrollstellen eingerichtet werden. Eine Arbeitsgruppe unter Leitung des Polizeipräsidiums Oberpfalz befaßt sich mit den Details. Dazu zählen auch Umweltaspekte: Moderne Lkw mit Euro-6-Norm sind schadstoffärmer als ältere Pkw-Dieselautos, sie müssen daher weniger Maut zahlen. Damit die Abgasreinigung wirkt, sind etwa 1,5 Liter AdBlue-Zusatz für 75 Cent auf 100 Kilometer nötig – ein jährliches Sparpotential von 1.000 Euro.

Statistiken des Bundesamts für Güterverkehr: www.bag.bund.de

Zwischenbericht des Projekts Asset-Road: cordis.europa.eu