© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/17 / 17. November 2017

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Verlängerung der Mandate: Wie sich die schleppenden Koalitionssondierungen auf die Auslandseinsätze der Bundeswehr auswirken
Peter Möller

Auf den ersten Blick haben Jamaika und Afghanistan wenig miteinander zu tun. Und doch könnte der Karibikstaat zumindest indirekt das Sicherheitsgefüge in der zentralasiatischen Republik weiter destabilisieren. Denn die schleppende Regierungsbildung in Deutschland infolge der Verhandlungen zwischen CDU/CSU, FDP und Grünen über eine „Jamaika“-Koalition verhindert die von Experten als notwendig erachtete Aufstockung des deutschen Truppenkontingents in Afghanistan. Derzeit dürfen maximal 980 deutsche Soldaten am Hindukusch stationiert werden, die sich dort an der Mission „Resolute Support“ zur Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte beteiligen. Die Nato-geführte Mission hatte Anfang 2015 den von den Vereinten Nationen 2001 beschlossenen Isaf-Einsatz abgelöst. 

Eigentlich sollten die westlichen Truppen nach dem Ende von Isaf schrittweise aus Afghanistan abgezogen werden. Doch davon ist angesichts der sich zuspitzenden Sicherheitslage keine Rede mehr. Die Taliban haben in den vergangenen Monaten immer mehr an Boden gewonnen. Gleichzeitig schreitet die Erosion der noch im Aufbau befindlichen afghanischen Sicherheitskräfte voran. Nach Angaben von Experten hat die afghanische Armee in den vergangenen drei Monaten durch Tod oder Desertion 4.000 Soldaten verloren, die afghanische Polizei 5.000 Mann.

Bei der Nato schrillen längst alle Alarmglocken. In der vergangenen Woche haben daher die Verteidigungsminister des Bündnisses in Brüssel beschlossen, die Truppenstärke in Afghanistan um zunächst 3.000 Soldaten zu erhöhen. Damit wären künftig wieder 16.000 Soldaten im Einsatz, rechnete Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg vor. Zusammen mit 4.000 amerikanischen Soldaten, die unabhängig von der Nato in Absprache mit der Regierung in Kabul operieren, stehen dann wieder rund 20.000 westliche Soldaten am Hindukusch.

Auch die Bundeswehrführung plädiert aus Sicherheitsgründen dafür, das deutsche Kontingent auf bis zu 1.400 Soldaten aufzustocken. Doch das wird zunächst nicht geschehen. Das Problem: Seit der Konstituierung des neuen Bundestages Ende Oktober ist die Bundesregierung nur noch geschäftsführend im Amt. Ein so weitreichender Entschluß wie die Entsendung zusätzlicher Truppen nach Afghanistan könnte erst nach der Bildung einer neuen Regierung getroffen werden, die sich wieder auf eine Mehrheit im Parlament stützen kann. Auf der letzten Kabinettssitzung der abgelaufenen Legislaturperiode hat die Bundesregierung Ende Oktober daher die Verlängerung von sieben Auslandseinsätzen der Bundeswehr nur um jeweils drei Monate statt – wie sonst üblich – um ein Jahr beschlossen und darauf verzichtet, die Mandate inhaltlich zu modifizieren.

Grüne genießen             noch Narrenfreiheit

Dabei besteht trotz des derzeitigen Machtvakuums im Berliner Regierungsviertel kein Zweifel daran, daß der neue Bundestag den Überbrückungsmandaten mehrheitlich zustimmen wird. Dennoch dürfte es bei der Abstimmung über die Mandate Anfang Dezember kurios zugehen. Denn die Grünen haben bereits ungeachtet der laufenden Jamaika-Sondierungen ihre Enthaltung angekündigt. Eine Haltung, die sich die Partei in einer schwarz-gelb-grünen Koalition nicht mehr leisten könnte. Denn es gilt als ausgeschlossen, daß Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Jamaika-Bündnis um den Preis eines Rückzuges aus Afghanistan eingeht. Doch noch genießen die Grünen in dieser Frage Narrenfreiheit, zumal die SPD angekündigt hat, trotz ihres Gangs in die Opposition, die Mandate, denen ihre Minister ja bereits im Kabinett zugestimmt haben, im Bundestag mitzutragen. Aber auf Dauer, so heißt es zähneknirschend aus der SPD-Fraktion, stehe die Partei in dieser Frage nicht als Ausputzer für die Verweigerungshaltung der Grünen zur Verfügung. Die AfD-Fraktion hingegen verweist auf ihr Parteiprogramm. Dieses fordert für Einsätze der Bundeswehr außerhalb des Bündnisgebietes der Nato grundsätzlich ein Mandat der Vereinten Nationen. Unzufriedenheit über die Parteigrenzen hinweg herrscht indes über die fehlende Auswertung des bisherigen Einsatzes in Afghanistan. So forderte der FDP-Bundestagsabgeordnete Bijan Djir-Sarai im Gespräch mit der Welt eine „umfassende Evaluation, die über die bisherigen Fortschrittsberichte der Regierung hinausgeht und neben dem Militär auch die diplomatischen und entwicklungspolitischen Elemente in den Blick nimmt.“

Neben dem Mandat für die Afghanistan-Mission muß der Bundestag auch über die Beteiligung Deutschlands am Einsatz gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ im Irak und Syrien, der Seeraum-Überwachung im Mittelmeer, den Beobachtermissionen der Vereinten Nationen im Sudan und im Süd-Sudan sowie über den Einsatz im westafrikanischen Mali und die Ausbildungsmission für die kurdischen Peschmerga-Kämpfer im Nord-Irak entscheiden. Derzeit sind rund 3.700 Bundeswehrsoldaten an 15 internationalen Einsätzen beteiligt.

So zurückhaltend die geschäftsführende Bundesregierung bei der Mandatsverlängerung agiert, so forsch handelte sie jetzt bei einem anderen verteidigungspolitischen Thema. Am Montag haben 23 EU-Staaten unter Beteiligung Deutschlands in Brüssel unter der Abkürzung Pesco („Permanent Structured Cooperation“) eine neue Organisation gegründet, mit der unter anderem die Wehrfähigkeit erhöht und Geld bei der Beschaffung von Rüstungsgütern eingespart werden soll. Ziel sei es, europäische Verteidigungspolitik verbindlicher zu machen, teilte die Bundesregierung mit. Es handele sich aber nicht um eine Europa-Armee. Auch sei das neue Bündnis keine Konkurrenz zur Nato. Scharfe Kritik am Vorgehen der Bundesregierung kam von der AfD. Der Fraktionsvorsitzende der Partei im Berliner Abgeordnetenhaus, Georg Pazderski, kritisierte die Beteiligung Deutschlands an der Pesco-Gründung als „Selbstermächtigung“ der geschäftsführenden Regierung am Parlament vorbei.