© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/17 / 17. November 2017

Grüße aus Madrid
Das wäre machbar
Michael Ludwig

José ist, was im Spanien der Gegenwart nicht mehr selbstverständlich ist: ziemlich streng katholisch. Vor allem in den großen Städten gilt es als reichlich altbacken, jeden Sonntag in die Kirche zu gehen. José, ein Mann in den besten Jahren, also um die 35, tut das. Nun hat er das, was man im christlichen Glauben eine Sünde nennt, begangen, eine, die er sich einfach nicht verzeihen kann. „Es war während einer Betriebsfeier“, sagt er, „du weißt schon, da geht es manchmal ganz schön hoch her – der Alkohol, die aufgeräumte Stimmung, da läßt man schon mal alle Fünf gerade sein.“ Er nippt an seinem Café con leche und blickt gedankenverloren auf die Eingangstür, die weit offen steht, um ein wenig frische Luft in die stickige Bar zu lassen. Auf seiner Stirn zeichnen sich tiefe Kummerfalten ab.

„Ich muß mir die 250 Euro vom Munde 

abspare. Das ist dann bereits die Sühne.“

„Na ja, so gegen Mitternacht, als alle aufbrachen, ist es dann passiert“, fährt José mit belegter Stimme fort. „Sie heißt María, arbeitet als Sekretärin in meiner Abteilung. Sie hat gesagt, ob sie mich noch zu einem Drink zu sich nach Hause einladen dürfe“. Den Rest braucht mir José nicht mehr zu erzählen. Kurzum: er hat seine glückliche Ehe gebrochen, und seither plagen ihn tiefe Schuldgefühle. „Neulich“, fährt er fort, „habe ich in der Zeitung gelesen, daß ein Portugiese, wenn man ihn dazu beauftragt, stellvertretend für einen von Lissabon zum Wallfahrtsort Fátima im Distrikt Santarém pilgert. Das sind etwa 130 Kilometer. Es kostet 2.500 Euro.“ José seufzt. „So viel Geld habe ich leider nicht, aber ich denke, daß der Allmächtige damit einverstanden ist, wenn ich den Portugiesen – er heißt übrigens Carlos Gil – darum bitte, einen Rosenkranz in meinem Namen zu beten. Da komme ich mit 250 Euro weg. Das wäre machbar.“

„Aber warum betest du den Rosenkranz nicht selbst?“, werfe ich ein. „Es kommt darauf an, daß ich mir die 250 Euro vom Munde abspare. Das ist bereits die Sühne. Für das Aufstellen und Anzünden einer Kerze in einer Kirche verlangt er 25 Euro, was in meinem Fall viel zu wenig ist. Wenn schon, dann einen ganzen Rosenkranz.“ Er greift in seine Hosentasche, holt einen Zettel heraus und schiebt ihn in meine Richtung: „Das hier ist seine Internetadresse (Peregrino.org) falls du mal seine Hilfe brauchst. Carlos Gil sagt, er fühle sich mit der katholischen Kirche im Einklang – aber wenn er in Saudi-Arabien geboren und Moslem wäre, würde er die Wallfahrt nach Mekka machen.