© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/17 / 17. November 2017

Alternative Linksextreme
Parteien: Personalquerelen und Dauerdebatten bei der AfD, auch die Grünen waren zu Beginn durch sie geprägt. Dazu kam eine große Portion Radikalität
Karlheinz Weißmann

Alexander Gauland nannte die AfD einen „gärigen Haufen“, um damit zu erklären, warum seine Partei noch nicht „fertig“ ist. Deshalb müsse man Geduld aufbringen und ein gewisses Maß an Langmut, wenn es darum gehe, jene Kräfte auszuscheiden, die unbrauchbar sind, jene zur Wirkung zu bringen, die brauchbar sind. Tatsächlich erinnert die „Alternative für Deutschland“ mit ihren Personalquerelen und Dauerdebatten über Grundsatzfragen an die Konflikte, die die Grünen Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre erlebte. Allerdings ist bei Analogieschlüssen Vorsicht geboten. Denn der Vergleich zwischen Grünen und AfD hinkt, jedenfalls insofern, als er die Grünen in ein zu positives, die AfD in ein zu negatives Licht rückt.

Was heute vergessen ist im Hinblick auf die anrüchige Vergangenheit des grünen Spitzenpersonals, war den meisten Zeitgenossen durchaus bewußt.

1985 stellte der Verfassungsschutz fest, daß ein Drittel der Bundestagsabgeordneten, mehr als die Hälfte der Europaparlamentarier, ein knappes Achtel der Landtagsabgeordneten, die Hälfte des Bundesvorstands und um zehn Prozent der Landesvorstände der Grünen eine linksextremistische Vergangenheit hatten.

Kommunistische Vita kein Hindernis für die Karriere

Unter dem Begriff „Linksextremismus“ wurde ein breites Spektrum gefaßt, das von der Unterstützung des Terrorismus über das „spontaneistische“ Lager bis zu den K-Gruppen und der moskauhörigen DKP reichte. Die Bedeutung der DKP für den Aufbau der Grünen war gering, da die Übernahmeversuche zu dilettantisch verliefen.

Dagegen gab es im Führungspersonal eine nicht ganz kleine Zahl von Personen, die auf die eine oder andere Weise zum Umfeld des linken Terrors gehörten: Zu nennen sind die grüne Europaabgeordnete Brigitte Heinrich (verurteilt wegen Vergehens gegen das Sprengstoffgesetz und das Kriegswaffenkontrollgesetz, da von ihr Handgranaten beziehungsweise Tretminen für eine Nachfolgeorganisation der Baader-Meinhof-Bande über die deutsch-schweizerische Grenze transportiert worden waren) sowie ihre Kollegen Benedikt Härlin und Michael Klöckner (beide verurteilt, da sie ein Bekennerschreiben der Revolutionären Zellen (RZ) in der von ihnen verantworteten Zeitschrift radikal abgedruckt hatten). Härlin wurde vor Gericht durch den späteren grünen Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele vertreten, der als RAF-Anwalt das Informationssystem der Terroristen mitgetragen hatte, was ihm eine Verurteilung wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung einbrachte.

 Bemerkenswert ist, daß die Alternative Liste (AL) – faktisch der West-Berliner Landesverband der Grünen – Horst Mahler, dem Gründungsmitglied der RAF, ein Mandat anbot, das der aber nicht wollte. Anders der Ex-Kommunarde Dieter Kunzelmann, den man ins Abgeordnetenhaus schickte, und von dem heute bekannt ist, daß er 1969  für den aufgrund technischer Unfähigkeit gescheiterten Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus in West-Berlin verantwortlich war. 

Der Vorgang hatte gewisse Ähnlichkeit mit der Flugzeugentführung mittels Spielzeugpistole durch den Grünen Raphael Keppel, dessen Kandidatur für den Hessischen Landtag nur wegen des Einspruchs der Wahlleitung unterblieb.

In diesen Kontext gehört der Brief, den die grünen Bundestagsabgeordneten Antje Vollmer und Christa Nickels am 30. Januar 1985 an die „politischen Gefangenen“ Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt schickten, in dem sie ihre Unterstützung für deren Hungerstreik erklärten und sich von einem Beschluß ihrer Fraktion distanzierten, der solche Solibekundungen ablehnte.

Vollmer wie Nickels kamen aus dem Umkreis der zumeist maoistisch orientierten K-Gruppen, die sich während der siebziger Jahre als Kaderparteien organisiert hatten. Zu nennen sind der Kommunistische Bund (KB), als seine Abspaltung die konspirativ arbeitende Gruppe Z, die KPD sowie der Kommunistische Bund Westdeutschlands (KBW). 

Dem KB gehörten nicht nur Jürgen Trittin und Ursula „Ulla“ Jelpke an, sondern auch der Bundestagsabgeordnete Jürgen Reents. Der Gruppe Z waren die Bundesvorstandsmitglieder Rainer Trampert und Günter Hopfenmüller sowie zahlreiche Mitglieder im Landesvorstand der Grün-Alternativen Liste Hamburg zuzurechnen, allen voran Thomas Ebermann, der es später bis zum Fraktionssprecher im Bundestag brachte. 

Aus den Reihen der KPD und ihrer Unter- oder Vorfeldorganisationen stammten neben Vollmer und Nickels auch die Bundestagsabgeordneten Joachim Müller, Sabine Bard und der Europaabgeordnete Frank Schwalba-Hoth. Die KPD stellte zudem eine starke Quote an Mandatsträgern der Berliner AL. Aus dem KBW kam dessen Chefideologe Hans-Gerhart „Joscha“ Schmierer, weiland überzeugter Stalinist und Bewunderer des Massenmörders Pol Pot. Er sollte zu den wichtigsten Beratern Joseph „Joschka“ Fischers als erstem grünen Außenminister gehören. KBW-Mitglieder waren auch die für die spätere Entwicklung der Grünen wichtig gewordenen Krista Sager und Winfried Kretschmann.

Der KBW war nicht nur eine der radikalsten Gruppen der westdeutschen Linken, sondern auch die am besten organisierte und reichste. Aus den Beitragszahlungen und Eigentumsübertragungen der Mitglieder entstand ein Millionenvermögen, das nach der Auflösung des „Bundes“ durch ein Immobiliengeschäft noch einmal rasant vermehrt wurde. 

Dieser Fonds finanzierte nicht nur die für die Programmdebatte der Grünen wichtige Zeitschrift Kommune, sondern leistete auch Unterstützung an die im Aufbau befindliche Partei. Als Zeichen des Dankes stimmte der Gründungsparteitag der Grünen 1980 einer Doppelmitgliedschaft in der Partei und in einer kommunistischen Organisation zu. Danach sollten Seilschaften aus ehemaligen oder aktiven K-Gruppen-Mitgliedern eine entscheidende Rolle spielen. 

Was die Leute aus KB, Gruppe Z, KPD und KBW planten, fomulierte Ebermann offen, nämlich „die Möglichkeit der ‘Erpressung’ und Einflußnahme auf die Grünen zu erhöhen“ und – an anderer Stelle – eine Möglichkeit zu finden, „um das Überleben der Kommunisten ... zu sichern“. Die Folgen? Otto Schily, ebenfalls Grüner der ersten Stunde, äußerte, er habe gelegentlich den Eindruck gehabt, sich auf einem „Parteitag der KPD“, nicht der Grünen, zu befinden.

Von den K-Gruppen zu unterscheiden ist der Verband Revolutionärer Kampf (RK), der nach 1968 aus der Frankfurter „Sponti-“ und Hausbesetzerszene entstand. Sein Chefideologe war Daniel Cohn-Bendit, der Führer der Militanten Joschka Fischer. Die Abgrenzung zum Terror der RAF war hier wie in der extremen Linken überhaupt nur eine taktische. Fischers Wehrverband – die „Putzgruppe“ – trainierte Kampfsportarten genauso wie den koordinierten Angriff auf Objekte und Menschengruppen, bevorzugt Polizisten. Mit welcher Aggressivität die Putzgruppe vorzugehen in der Lage war, konnte bei der Attacke auf das spanische Generalkonsulat in Frankfurt am 19. September 1975 festgestellt werden, als zweihundert vermummte, schwarzgekleidete Männer das von der Polizei geschützte Gebäude mit Molotowcocktails angriffen. Einsatzfahrzeuge gerieten in Brand. Den Beamten blieb bloß noch die Flucht, ihren Funkverkehr hatten die Militanten mit Hilfe von Störsendern unbrauchbar gemacht. 

Der damit erreichte Grad der Eskalation markierte allerdings auch eine Grenze. Nachdem bei der Ulrike-Meinhof-Demonstration am 11. Mai 1976 ein Polizist durch einen Molotow-cocktail schwer verletzt worden war – er bat einen Kollegen verzweifelt um einen Gnadenschuß –, distanzierte sich Fischer öffentlich von Gewalt, die zur Tötung von Personen führen konnte, allerdings nicht von der Gewalt als solcher. Der Historiker Wolfgang Kraushaar hat in einer unlängst erschienenen Untersuchung darauf hingewiesen, daß der ab 1980 in der Öffentlichkeit auftretende „Schwarze Block“ nicht zufällig wie eine Fortsetzung der Putzgruppe wirkt.

Erstaunliche Mutationen der grünen Führungsriege

Aus dem RK sind Cohn-Bendit wie Fischer zu den Grünen gekommen und konnten in der Folgezeit bemerkenswerte Karrieren machen. Geschadet haben ihnen die extremistischen Anfänge nie. Bei Cohn-Bendit gab es nur einen kurzen Moment der Irritation, als bekannt wurde, daß der zum Europaabgeordneten der Grünen Aufgestiegene irgendwann auch den Sex mit Kindern für eine denkbare Option gehalten hatte. 

Fischer überstand ohne einen Kratzer die Aufarbeitung seiner militanten Vergangenheit durch den Bundestag und legte in der Folge eine erstaunliche Wandlungsfähigkeit an den Tag. Er, der in den achtziger Jahren noch die Friedensbewegung als Vehikel für den Kampf gegen die Hegemonialmacht USA betrachtete, erklärte dann, er sei „nie ein Nato-raus-Kämpfer“ gewesen. Derselbe, der die Kleiderordnung der Parlamente mit Spott bedachte, entdeckte plötzlich, daß er „schon immer gern Schurwolle“ getragen habe. Im März 1998 ließ er wissen, daß er keineswegs Außenminister werden wolle, um dieses Amt genau neun Monate später zu übernehmen. So bestallt betonte er, daß Militäraktionen der Bundeswehr für ihn nur unter UN-Mandat in Frage kämen, um kurz darauf die Beteiligung der Luftwaffe an Einsätzen gegen Serbien – ohne UN-Mandat –  in Ordnung zu finden. Denn, äußerte er, man müsse die „SS von Herrn Miloševic“ aufhalten, um dann aber doch jede „Parallelisierung zwischen Auschwitz und den aktuellen Ereignissen“ in Abrede zu stellen.

Verglichen mit dieser Wandlungsfähigkeit erscheint die Entwicklung von Thomas Schmid statisch, der seinen Weg als „Innenkader“ des RK begann und in Folge Redakteur der linksradikalen Zeitschrift Autonomie war. Auch er fand in die Reihen der Grünen, entschloß sich aber nach dem Kollaps der DDR, seine Karriere voranzutreiben, zumal der besondere „Aufbau Ost“ vielen Veteranen der 68er unerwartete Chancen bot. Das hieß im Fall Schmid: 1993 Feuilletonchef der aus der Konkursmasse der DDR-Publizistik überlebenden Wochenpost, dann deren stellvertretender Chefredakteur. 1998 wechselte er zur Welt, dem Blatt des alten Klassenfeindes Nr. eins. Er beendete seine Karriere als Chef der Welt-Gruppe und schreibt bis heute regelmäßig Kolumnen.

Was an diesen Beispielen deutlich wird, ist die Mutation, die die Führungsriege der Grünen durchlief. Aber es dauerte fast eineinhalb Jahrzehnte, bis man die ideologischen Schlacken abgestreift und die Hardliner aus der Partei gedrängt hatte. Das heutige, vergleichsweise harmlose Bild der Grünen geht auf den „historischen Kompromiß“ mit dem Gegner zurück, den man nach dem Untergang des Ostblocks schloß. Dem kam zupaß, daß die andere Seite den Glauben aufgegeben hatte, die neue Kraft „mit Dachlatten“ zu erledigen (Holger Börner, SPD, Ministerpräsident von Hessen, bevor er mit den Grünen die erste Koalition auf Landesebene schloß) oder einfach als Trojanisches Pferd Moskaus oder Pankows abtun zu können. Zwangsläufig war der Weg nicht, aber gebahnt durch die Sympathie für die Grünen, die weit bis ins bürgerliche Feuilleton reichte.